Die Zirkuskunst der Gegenwart und ihre weitere Entwicklung

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Gerhard K.
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Die Zirkuskunst der Gegenwart und ihre weitere Entwicklung

Ungelesener Beitrag von Gerhard K. » 07.05.2011, 17:44

Die Zirkuskunst der Gegenwart und ihre weitere Entwicklung

Die Zirkuskunst, über 200 Jahre alt, zählt zu den populärsten Formen der darstellenden Kunst überhaupt. Die Besucher kommen aus allen sozialen Schichten, aus allen Altersgruppen. Der Staatszirkus der DDR mit seinen Zirkussen Aeros, Berolina und Busch sah sich dem nationalen Erbe der Zirkuskunst verpflichtet. Die progressive Entwicklung, die vor mehr als 150 Jahren von Christoph de Bach und Ernst Jacob Renz begonnen wurde, sich vor allem in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in anderen Unternehmen fortsetzte und dem deutschen Zirkus Weltgeltung verschaffte, war dem Unternehmen Staatszirkus zugleich Verpflichtung und Aufgabe zur ständigen Erneuerung. Die Zirkuskunst war integrierter Bestandteil des Ensembles der Künste. Das Ende des Unternehmens wurde inzwischen mehrfach und nachhaltig beschrieben.

Der Status der Zirkusunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland dagegen ist mehr als problematisch.
Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, wie u. a. Italien und Frankreich, ist der Zirkus in der Bundesrepublik Deutschland nicht als Kulturinstitution anerkannt. Er wird wie ein beliebiger Gewerbebetrieb behandelt. Diese Tatsache hat weit reichende Konsequenzen. Es fehlen sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene elementarste Richtlinien in Sachen „Zirkus“, er wird einfach nicht wahrgenommen. Das große Problem für den Zirkus von heute sind also die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Die Zirkusbranche selbst ist sehr unterschiedlich strukturiert. Neben einer relativ geringen Anzahl Groß- und Mittelunternehmen(ca. 10) existieren im gesamten Bundesgebiet mindestens 350 so genannte Familienzirkusse. Zuverlässige Zahlen gibt es nicht. Einige dieser Unternehmen beschädigen diese alte Kunst durch Niveaulosigkeit und Primitivität. Daneben ist das wachsende Phänomen der „Agenturzirkusse“ zu nennen, die in erster Linie projektbezogen organisiert sind. Sie verfügen selten über eigenes Material, sondern mieten dies von Zirkusunternehmen oder von Spezialfirmen an. Da werden auch mitunter in kühner Manier Nationalzirkusse präsentiert, die reine Phantasieprodukte sind.

Die großen Unternehmen, die die Entwicklung vorantreiben, werden durch die ständig wachsenden finanziellen Belastungen an den Rand ihrer Existenz gedrängt. Das internationale akrobatische Niveau bestimmen heute im Wesentlichen, wenn auch bereits mit Abstrichen, „noch“ die Zirkuskünstler aus der Ex-Sowjetunion. Cirque du Soleil ist eigentlich ihr Erfolg. Internationale Festivals sind ohne diese Darbietungen kaum denkbar. Dazu kommen die Artisten aus China und gelegentlich aus Nordkorea. Viele dieser Darbietungen sind jedoch in einem normalen Saisonbetrieb, allerdings nicht nur aus ökonomischen Gründen, so gut wie nicht einsetzbar. Das Zirkusfestival in Monte-Carlo ist für die weltweite Entwicklung der Zirkuskunst inzwischen mehr als ein Barometer. 2011 war wieder so ein Meilenstein. Es war nicht zu übersehen, dass es für die Leitung des Festivals immer schwieriger wird, Qualität und Quantität in der Balance zu halten. Was wird, wenn die Brunnen versiegen? Daraus ergibt sich die berechtigte Frage: “Kann der Zirkus überleben?“ Ja, er wird überleben, aber wie? Jede Zeit hat ihren Zirkus. Der „klassische“ Zirkus war wohl nie „klassisch“, er hat sich stets den Interessen seines Publikums angepasst. Es geht nicht darum, schlechthin Nummern zu engagieren, sondern eine dramaturgisch stimmige, möglichst perfekte Show zu inszenieren. (Das hat nicht nur der alte Sarrasani schon versucht.) Gefühl und Intellekt des Besuchers sind gleichermaßen zu stimulieren. Es ist eine Botschaft zu versenden, die den gestressten Menschen dieser Tage nicht nur erreicht, sondern sogar bewegt. Der Zirkus ist (fast) das letzte verbliebene klassische Familienvergnügen. Kinderpublikum ist, ohne es zu ignorieren, nicht seine spezielle Zielgruppe. Qualität in der Artistik ist die Synthese von Leistung und Wirkung. Es ist die Einheit der Vielfalt. Der Zirkuskünstler bringt in seiner äußeren Haltung seine innere Schönheit zum Ausdruck. Der Zirkus war in seiner Entwicklung immer in ständiger Veränderung. Dabei waren die Gründe dafür sehr vielfältig. Auf jeden Fall standen und stehen sie immer in einer gewissen Beziehung zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.

Der deutsche Zirkus ist traditionell ein Tierzirkus. Kann er das bleiben? Dazu muss man erst einmal grundsätzlich feststellen, dass es einen „richtigen“ Zirkus ohne Tiere nicht gibt und auch nie geben wird. Gerade die Mischung aus Artistik, Clownerie und Dressur ist das, was den Zirkus ausmacht. In seinen Ursprüngen war er ein Pferdezirkus. Kunstreiterinnen beispielsweise hatten damals schon einen Stellenwert wie heute Pop-Stars. Dann kamen Raubtier¬dressuren, erst „wild“ vorgeführt, dann immer mehr die Harmonie Mensch - Tier betonend. So erweiterte sich der Dressurbereich im Verlauf der Geschichte immer mehr. Elefanten, Schimpansen, Robben usw. waren in jedem Zirkus zu sehen, der es sich leisten konnte. In den 60-er und 70-er Jahren des vorigen Jahrhunderts zeichnete sich immer mehr ein Trend zu Haustierdressuren ab. Diese sind nach wie vor populär, und nicht nur im Zirkus, sondern auch im Varieté und anderen Veranstaltungsformen gefragt. In den 80-er und 90-er Jahren zeichnete sich eine Entwicklung ab, in der die Dressurtierhaltung immer kritischer betrachtet wurde. Das geschah zu großen Teilen wohl zu Recht, aber auch mit gewaltigen Überspitzungen. In Skandinavien wurden die so genannten „Käfigtiere“ schon in den 70-er Jahren aus dem Zirkus verbannt. Veterinärmedizinische und veterinärhygienische Bestimmungen in einzelnen Ländern, wie z. B. die zur britischen Krone gehörenden, schränkten u. a. durch Quarantänebestimmungen den Wirkungskreis von Dressuren enorm ein. So hatte der Cirque du Soleil nicht deshalb nie Tiere, weil man dies prinzipiell nicht wollte, sondern es kam nie in Betracht, weil eine Tierhaltung im Zirkus vom Gesetzgeber her in Kanada nicht möglich war. Gilles St.-Croix, ehemaliger Kreativ-Direktor des Unternehmens: “In unserer Entwicklung gibt es unterschiedliche Epochen. Ursprünglich waren wir Straßenkünstler, die sich irgendwann mal ein Zelt zugelegt haben. Von 1985 bis etwa 1988 haben wir dann richtig Zirkus gespielt: Artistenzirkus, wie man ihn auch in anderen Ländern kennt. In den Jahren 1990 bis 1994 kam dann die Phase des theatralischen Zirkus wie Alegria mit Einzelnummern, die nur lose durch Musik und Gestaltung verbunden waren. Quidam dagegen ist eine Art akrobatisches Cabaret, das weder Anfang noch Ende hat, sondern einfach in zwei große Akte gegliedert ist. Wir sind sicher sehr verschieden von anderen Zirkussen. Das Publikum in New York vergleicht uns auch eher mit Musicals, nicht mit Ringling oder Big Apple. Trotzdem haben wir natürlich einen Einfluss auf die Zirkuswelt, jedenfalls als Herausforderung. Aber das ist gar nicht unsere Absicht. Wir wollen einfach das machen, was wir für richtig halten, und wir verspüren dafür eine große Nachfrage. Wir wollen nicht schlauer sein als andere, wir wollen nur wir selbst sein.“

Soviel zum gerühmten Zirkus ohne Tiere.

In den Zirkussen mit Tieren zieht sich die Schlinge immer enger zu. Die zuständigen Behörden verstärken ihren Druck auf die Unternehmen immer mehr, da sie auch ihrerseits in zunehmendem Maße ins Kreuzfeuer von Tierschützern aller Couleur geraten. Bedauerlicherweise gibt es aber auch Zirkusunternehmen, die durch Ignoranz und Unfähigkeit den oft heuchlerischen Kampagnen, von wem auch immer, gegen die Tierhaltung im Zirkus geradezu in die Hand arbeiten.

Etliche Großunternehmen hatten schon vor Jahren Dressuren der unterschiedlichsten Art mit ihren Vorführern bzw. Dresseuren „privatisiert.“ Steigende Kosten in allen Bereichen, unrealistische Forderungen für Gehege und Stamm¬quartiere, eine unsichere Engagementsituation oder sogar schlechte Zahlungsmoral oder -fähigkeit bei nicht wenigen Unternehmen haben zur weiteren Eskalation beigetragen. Der Prozess der weiteren Reduzierung von Dressuren wird weiter gehen. Die zuständigen Behörden können jedoch das Problem nicht lösen. Sie haben außer der Initiierung und Verhängung von Sanktionen kaum Möglichkeiten. Dieses Dilemma zeigt sich in besonders makabrer Weise dann, wenn ein Amtstierarzt Tiere beschlagnahmt und gleichzeitig den bisherigen Halter mit der Pflege beauftragt, weil er selbst nicht weiß, wohin mit den Tieren. Tiere einzuschläfern wird in jedem Fall - schon allein aus Rücksicht auf die Öffentlichkeit - eine Ausnahmelösung sein und das ist auch gut so.

Also wohin mit diesen Tieren? Der Staat kann zwar Verbote aussprechen, aber selbst kaum Lösungen anbieten. Es weiß auch niemand genau, wie viele Tiere aus dem Zirkus- und Showbereich über kurz oder lang noch davon betroffen sein werden. Auf jeden Fall zu viele. So schätzte man z. Zt,, dass etwa ca. 40 afrikanische Elefanten, die sich in Klein- bzw. Familienunternehmen in Deutschland befinden sollen, auf eine Problemlösung warten. Insgesamt gibt es in Deutschland noch etwa 90 Zirkuselefanten, von denen einige in ausländischen Zirkussen engagiert sind. Nach amtlichen deutschen Jahresstatistiken zur Durchführung des Washingtoner Artenschutzabkommens wurden zwischen 1981 und 1999 183 Afrikaner und 13 Asiaten legal aus Drittländern(außerhalb der Europäischen Gemeinschaft) nach Deutschland eingeführt. 79 Afrikaner und alle Asiaten waren ausweislich der Dokumente für Zoos bestimmt. Obwohl nur 2 Tiere ausdrücklich für Zirkuszwecke importiert wurden, ging ein großer Teil der 102 zu unspezifischen Handelszwecken eingeführten Afrikaner offensichtlich in Zirkusse. Davon wurde ein beachtlicher Teil wieder in Drittländer ausgeführt. Ein weiterer Aspekt, der zur Bestandsreduzierung geführt hat, ist die jährliche Sterblichkeitsrate von ca. 1%. An ganz aktuellen Zahlen der in Deutschland lebenden Zirkuselefanten wird gegenwärtig gearbeitet. So wird zur Lösung der anstehenden Probleme im Wesentlichen nur die Möglichkeit bleiben, dass private, seriöse Aktivitäten mit hohem Verantwortungsbewusstsein und viel Kompetenz sich den Problemen stellen müssen. Die Behörden wären aber gut beraten, nicht gegen, sondern mit den Betroffenen nach Lösungen zu suchen. Mit Sicherheit war u. a. die letzte Anhörung im Bundestag zur Problematik der Dressurtiere ein kleiner positiver Ansatz, den es gilt kontinuierlich fortzuführen. Dazu sollte allerdings noch ergänzend erwähnt werden, dass eine aktuelle Anfrage bei allen im Bundestag vertretenen Parteien ergeben hat, dass mit Ausnahme der CDU sich alle anderen Parteien, mit teilweise qualitativ sehr merkwürdigen Argumenten, unmissverständlich gegen eine Wildtierhaltung im Zirkus aussprechen!


Die nächste Zeit wird die gesamte Branche, einschließlich artverwandter Bereiche, vor große Herausforderungen stellen. Die soziale Lage der Familien in Deutschland wird dafür von großer Bedeutung sein. Hier kann man nicht die Kosten, wie das andere Zweige der Wirtschaft anscheinend bedenkenlos tun, an die Konsumenten weiterreichen. Die Eintrittspreise bewegen sich jetzt schon teilweise in einem Bereich, der für viele Familien nicht mehr erschwinglich ist. Bei den staatlich geförderten Kultureinrichtungen wird die Differenz zwischen Einnahmen und Kosten teilweise durch Subventionen ausgeglichen. Der Gesetzgeber sollte als Kompensation dafür endlich den Unternehmen Rahmen¬bedingungen schaffen, die es ihnen gestatten, diese traditionsreiche Kunst weiter zu pflegen und zu entwickeln. Dabei wäre allerdings noch die Frage zu stellen, ob diese verbesserten Rahmenbedingungen ausnahmslos für alle Unter¬nehmen gelten sollen oder nur für solche, die als förderungswürdig anerkannt sind. Privattheater, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, müssen dafür durchaus ihre künstlerische Qualität nachweisen. Wer entscheidet darüber aber für Zirkusse, die bestenfalls wenige Tage in der Saison, wenn überhaupt, an ihrem Stammsitz spielen?

Vielerorts spricht man gern bei Premieren in den Gastspielorten davon, dass diese Gastspiele ein immanenter Bestand¬teil der Vielfalt des städtischen kulturellen und gesellschaftlichen Lebens sind. Anwesende Würdenträger nehmen dies oft gern zum Anlass, dabei ihre Achtung, ihren Respekt und ihre Liebe zum Zirkus zu bekunden. Es darf jedoch nicht bei diesen mündlichen Sympathiebekundungen bleiben. Es müssen konkrete Taten auf Bundes- und Landesebene folgen.

Die Frage „Quo vadis“ wird für alle Beteiligten weiter äußerst spannend bleiben, zumal die Konsequenzen aus der Finanzkrise, der bevorstehenden Energiewende, sowie der politischen Krisen in aller Welt für die Zirkusse im Moment überhaupt noch nicht zu überschauen sind. Nichts von alledem wird spurlos an ihnen und an uns vorübergehen.

Gerhard Klauß
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