Bahntransport

Geschichten, Erinnerungen, Märchen und Gedichte
Benutzeravatar
Admin
-
-
Beiträge: 4329
Registriert: 01.07.2007, 22:30

Bahntransport

Ungelesener Beitrag von Admin » 16.07.2007, 15:32

Bahntransport

Früher, als die Bahn noch bezahlbar war, wurden alle Circusse mit der Bahn von einer Stadt zur Nächsten transportiert. Nachts wurden alle Wägen auf Loren rangiert, Klötze unter den Reifen verkantet und mit Ketten an den vier Ecken gesichert. Die Pferde, Exoten und Elefanten kamen in geschlossene Eisenbahnwaggons. Der Sonderzug ging dann durch die Nacht und wir schliefen in den Wohnwägen, die nun sanft uns in den Schlaf schaukelten. Noch heute höre ich das “Raramtata Raramtata”, wenn der Zug über Weichen fuhr. Es war ein wunderbares Gefühl, so durch die Nacht geschaukelt zu werden.

Wir waren vom Abbau sehr müde und am frühen Morgen wurde man in der neuen Gastspielstadt geweckt. Noch auf dem Güterbahnhof gab es eine wärmende Suppe, Semmeln und Kaffee. Alles wurde von der Bahn gezogen. Als erstes der Chapiteauwagen und dann alles der Reihe nach. Auf dem Mastenwagen sass offen die Zeltmannschaft und damit gings zum Platz. Zu Mittag stand der Circus komplett und um 15 Uhr lief die erste Vorstellung. So ging das alle zwei bis drei Tage, fast ohne Reisetage und damals gab es noch weniger technische Hilfen als heute. Die Anker wurden von drei Mann mit Muskelkraft im Rundschlag in den Boden geklopft, da gab es noch keine Presslufthämmer, keine modernen Gabelstapler. Einige Geschäfte hatten einen Traktor mit Frontlader, womit man die Zeltteile vom Wagen holte und die Masten vorsichtig herab zog.

Ich schreibe von früher. Das war die Zeit zwischen 1965 bis 1975, als ich mit verschiedenen Unternehmen reiste.
1971 war ich beim Circus Barum-Safari von Gerd Siemoneit. Damals gab es zwischen Freudenstadt im Schwarzwald und Landau in der Pfalz einen Reisetag. Der Zug fuhr diesmal nicht nachts, sondern am Tag und die Sonne schien wunderbar. Wir sassen auf den Loren vor unseren Wägen und becherten lustig, johlten vom fahrenden Zug hübschen Mädchen nach und genossen die warme Sommersonne. In einigen Bahnhöfen hielt der Zug und einige von uns spurteten los zu den Bahnhofskiosks. Wir deckten uns mit neuen Getränken ein. Kaum dass der Zug ein Geräusch machte, rannten wir zurück und hechteten auf die Loren. Einmal waren wir etwas spät daran und erreichten nur noch die letzten Loren des Zuges. Nun mussten wir uns unter den Wägen hindurch robben. Besonders heikel war das beim Toilettenwagen, der etwas leckte und bei jeder schauckelnden Bewegung etwas Kloake vom Fahrtwind verspritzt wurde. Da musste man am äußeren Rand sich durchhangeln, was nicht ganz ungefährlich war. Das war Abenteuer pur.
Wenn der Zug an einem Haltesignal stoppen musste, stelle Tony die leeren Bierdosen auf einen nahen Zaun und ballerte diese dann mit seinem Luftgewehr herab. So eine angetrunkene Circusmannschaft war schon besonderer Haufen!
In Landau brütete die Hitze und der Aufbau war mühsam. Der Alkohol musste nun herausgeschwitzt werden. Das war ein knochenzäher Aufbau und der kühle Abend die wahre Erholung.


Ein andere Mal zwischen Diez und Idstein feierte die ganze Zeltmannschaft nach dem Abbau in der Bahnhofskneipe. Vorher wurde uns die Uhrzeit gesagt, wann der Sonderzug abfahren würde. Tatsächlich aber fuhr der Zug eine halbe Stunde früher los und als die Mannschaft vor das Lokal trat, war kein Zug mehr da. Der Bahnhofsvorsteher wurde zur Rede gestellt und ihm klar gemacht, dass ohne die Mannschaft der Circus in Idstein weder entladen noch aufgebaut werden könne und dass da eine Schadenersatzforderung auf die Bahn zukommen würde. So organisierte dieser einen Triebwagen und so fuhr die Zeltmannschaft fröhlich feiernd dem Sonderzug hinterher. Das wurde eine kurze Nacht, aber diese hartgesottenen Gesellen waren viel gewohnt. Auch wenn viele wild aussahen, hinter diesen Gesichtern verbargen sich herzensgute Typen, mit denen man “Pferde stehlen” hätte können.
Mit circensischen Grüßen

Circusworld.de
-------------------------------
http://www.circusworld.de
-------------------------------
Benutzeravatar
Wolfgang A.
Interessiertes Mitglied
Interessiertes Mitglied
Beiträge: 98
Registriert: 14.08.2008, 18:16

Re: Bahntransport

Ungelesener Beitrag von Wolfgang A. » 27.08.2008, 08:33

Wenn wir von der Zeltmannschaft mit den letzten beiden Transporten zum Verladebahnhof kamen, durchstreiften wir erstmal, ausgestattet mit Säcken, den Bahnhof nach Kohlewaggons. Es war ja schon einigermaßen kühl geworden. Denn wir befanden uns schon im letzten Drittel des Jahres.(1973) Fanden wir welche, enterten immer je zwei Mann diese und warfen die Kohlen herab. Alle anderen waren eifrig dabei, diese einzusammeln. Diese Aktionen dauerten nie länger als fünfzehn Minuten und dann waren wir wieder weg. Wir sind auch nie erwischt worden. Nachdem die Säcke in den Kellerkästen gebunkert waren, wurde dann die Bahnhofskneipe aufgesucht. Hier verschwand dann erstmal einer nach dem Anderen im WC um die verräterischen Spuren von Gesicht und Händen zu entfernen. :oops: Was dann erfolgte, hat wohl fast jeder mitgemacht. Die Biergläser blieben nicht lange leer. Den Zug haben wir nie verpasst. Wir hatten ja Emma. Er war der Wagenmeister und unser Wecker. Ob im Winterquartier oder auf der Reise. Eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges erklang dann immer seine kräftige Stimme mit den Worten : Reise, Reise. Wenn möglich machte er auch noch mit einem Gegenstand Lärm. Das erfolgte im Abstand von zehn Minuten zweimal. Dann war das Lokal aber auch leer und alles enterte die Loren mit den Wohnwagen. Emma war es dann auch, dessen Stimme wir dann am nächsten Morgen in der nächsten Stadt als erstes hörten. Er lief dann den Zug entlang, Reise, Reise rufend und mit einer Eisenstange an die Waggons schlagend. Auch das erfolgte zwei mal. Einmal hin und einmal zurück. da hatte niemand die Chance zu verschlafen.
Gruß Wolfgang A.
Gruß Wolfgang A.

Wer einmal den Sägemehl-Staub der Manege im Hosenumschlag hatte, den lässt der Circus nicht mehr los.
Benutzeravatar
Admin
-
-
Beiträge: 4329
Registriert: 01.07.2007, 22:30

Re: Bahntransport

Ungelesener Beitrag von Admin » 27.08.2008, 09:05

Wolfgang A. hat geschrieben:Er lief dann den Zug entlang, Reise, Reise rufend und mit einer Eisenstange an die Waggons schlagend. Auch das erfolgte zwei mal. Einmal hin und einmal zurück. da hatte niemand die Chance zu verschlafen.
Gruß Wolfgang A.
Diesen "Wecker" gab es bei jedem Circus und ich höre nun wieder die Rufe und die Eisenstange gegen die Loren schlagend. ;)
Wolfgang, Du weckst Erinnerungen in mir. :lol:
Mit circensischen Grüßen

Circusworld.de
-------------------------------
http://www.circusworld.de
-------------------------------
Benutzeravatar
Wolfgang A.
Interessiertes Mitglied
Interessiertes Mitglied
Beiträge: 98
Registriert: 14.08.2008, 18:16

Re: Bahntransport

Ungelesener Beitrag von Wolfgang A. » 27.08.2008, 11:13

Ja, auch ich erinnere mich gerne an diese Zeiten zurück. Vor allem meine Kinder, die inzwischen Erwachsen sind, fragen mich immer wieder danach. Natürlich springe ich sofort an und erzähle.Deshalb bin ich auch dabei, alles aus dieser zeit für sie in einem Buch fest zu halten. :)
Gruß Wolfgang A.
Gruß Wolfgang A.

Wer einmal den Sägemehl-Staub der Manege im Hosenumschlag hatte, den lässt der Circus nicht mehr los.
Benutzeravatar
Alfons A.
Mitglied
Mitglied
Beiträge: 2
Registriert: 06.10.2008, 15:27

Re: Bahntransport

Ungelesener Beitrag von Alfons A. » 06.10.2008, 21:52

Hallo Peter,
hallo Circus-Freunde,

so eben laß ich voller Begeisterung Peter´s und Wolfgang´s Beitrag zum Bahntransport.

Passend hier zu, erlaube ich mir nachfolgenden Beitrag.
Der erste Zirkus Deutschlands, der mit der Bahn transportiert wurde, war der Circus Renz.
Belegt ist eine Sommerfahrt von Berlin, Stettiner Bahnhof, zum Gastspiel nach Kopenhagen am 02. Mai 1860. Ob dies die erste Bahnfahrt des Circus Renz war, vermag ich momentan nicht zu sagen. Sicher ist jedoch, daß Ernst Jacob Renz sehr geschäftstüchtig war und daher Neuem sehr offen gegenüber stand, sofern dies für ihn einen Nutzen erbrachte.

Grüße
Alfons

Quelle: A. H. Kober, Zirkus Renz, 1942 und 1948
RENZ > kurzer Name, große Wirkung!
Benutzeravatar
Wolfgang A.
Interessiertes Mitglied
Interessiertes Mitglied
Beiträge: 98
Registriert: 14.08.2008, 18:16

Re: Bahntransport

Ungelesener Beitrag von Wolfgang A. » 18.10.2008, 21:32

An einen Bahntransport werde ich bis heute täglich erinnert. Es war der Saisonstart 1974. Vom Winterquartier in Altenhundem im Sauerland ging es zum ersten Gastspielort nach Wetzlar/Lahn. Bei der Ankunft in Wetzlar wollte ich der Bahnkolonne behilflich sein und habe dann, auf Nachfrage, angefangen die Klappen der Loren zu öffnen. Muss mich dabei so dumm angestellt haben, das mir schon die dritte Klappe auf den linken Fuß viel. Sie traf allerdings "nur" den großen Zeh :cry: . Der war dann dafür auf einen Schlag dreimal gebrochen :x . Im Krankenhaus in Wetzlar bekam ich dann einen Gehgips und weiter ging es. Allerdings konnte ich natürlich nur eingeschränkt arbeiten. Aber es funktionierte. Was mich bis heute daran erinnert, ist der Nagel des Zeh's. Der ist so unglücklich getroffen worden, das er bis heute schwarz ist. Spätestens ca. alle sechs Jahre muss ich ihn abnehmen lassen, weil trotz fachlicher Pflege immer mehrere Schichten übereinander wachsen. Somit habe ich ein unabänderliches Andenken an diesen an diesen einen Bahntransport. :lol:
Gruß Wolfgang A.

Wer einmal den Sägemehl-Staub der Manege im Hosenumschlag hatte, den lässt der Circus nicht mehr los.
Benutzeravatar
Admin
-
-
Beiträge: 4329
Registriert: 01.07.2007, 22:30

Re: Bahntransport

Ungelesener Beitrag von Admin » 18.10.2008, 21:51

Wolfgang A. hat geschrieben:Was mich bis heute daran erinnert, ist der Nagel des Zeh's. Der ist so unglücklich getroffen worden, das er bis heute schwarz ist. Spätestens ca. alle sechs Jahre muss ich ihn abnehmen lassen, weil trotz fachlicher Pflege immer mehrere Schichten übereinander wachsen. Somit habe ich ein unabänderliches Andenken an diesen an diesen einen Bahntransport. :lol:
So hat jeder seine Souvenirs. ;) :mrgreen:
Ich bin vom Affen gebissen und diese Narbe am linken Unterarm erinnert mich an jugendlichen Leichtsinn.

Hier Geschichte und Foto: http://geschichten-von.circusworld.de/6/18/30/30.html


Mich erinnert Bahntransport auch an den Österreichischen National Circus von Elfie Althoff-Jacobi. Da zwang mich Frau Direktor eines abends in der Verladekolonne unter dem groben spanischen Verlademeister Magacci auszuhelfen.
Ich sagte Frau Direktor dass ich das nicht mache und sonst nachhause fahre, aber sie nahm mich nicht ernst.
Damals transportierte ich auch meinen PKW auf einer Lore mit.
Nach einer knochenharten Verladenacht kam der Zug morgens in mehreren Teilen in Bad Aussee an und ich wies den Bahnhofsvorsteher an, als erstes meine Lore an die Seitenrampe zu fahren. Dort klappte ich die Seitenwand ab und fuhr meinen PKW herunter, lud dort meine Sachen ein und fuhr sofort nachhause.
Wenige Tage später rief mich Frau Direktor an, "es sei doch nicht so gemeint gewesen" und sie bedauerte, dass ich ohne mich zu verabschieden weg gefahren war.
Ich sagte ihr klar: "Mit mir nicht!° und bin dann nie mehr zu ihr zurück gekehrt.
Da ich viele Funktionen beim Circus beherrschte, wurde ich oft als "Springer" eingesetzt, immer da wo Not am Mann war. Das machte ich gerne, da es abwechslungsreich war, aber es gab da auch Grenzen und wer diese nicht ernst nahm, musste dann eben mit meinen Konsequenzen leben. :lol:
Mit circensischen Grüßen

Circusworld.de
-------------------------------
http://www.circusworld.de
-------------------------------
Benutzeravatar
Circusworld
-
-
Beiträge: 8959
Registriert: 02.07.2007, 02:02

Re: Bahntransport

Ungelesener Beitrag von Circusworld » 26.11.2019, 11:02

Mit einem KNIE auf der Schiene
Eine Geschäftsbeziehung, die mehr als hundert Jahre hält? Doch, so etwas gibt es. 1919 wurde der Circus Knie gegründet – und seither reist er mit der Bahn.

Den ganzen Zirkus auf die Schiene zu packen, war früher ein Kraftakt. Heute ist es eine riesige logistische Herausforderung, die aufgrund ihrer Grösse und Dauer niemals zur Routine verkommen wird. Allein im Jahr 2019 reist der Circus Knie kreuz und quer im ganzen Land total 2433 Bahnkilometer. Das entspricht etwa der Distanz Schweiz–Island.

Ein Unternehmen mit fast 250 Mitarbeitenden mehr als dreissigmal zu zügeln, verlangt der Planung einiges ab: Der Zirkus verteilt sich auf 45 Waggons in zwei Zügen. Die Rangierteams der Bahn und das Verladeteam des Zirkus sind bestens eingespielt, doch auch bei ihnen kommt keine Routine auf. Zu verschieden sind die Herausforderungen an den jeweiligen Örtlichkeiten: Hier sind es zu kurze Abstellgleise, dort fehlende Rampen, dann wieder sind es verstellte Wege – langweilig wird es nie.

Mehr unter: https://blog.sbbcargo.com/34845/mit-ein ... r-schiene/
--------------------------------
http://www.circusworld.de
--------------------------------
Benutzeravatar
Circusworld
-
-
Beiträge: 8959
Registriert: 02.07.2007, 02:02

Re: Bahntransport

Ungelesener Beitrag von Circusworld » 13.09.2022, 23:51

Circus Roncalli fährt mit der Bahn

Die Rail Cargo Group befördert das 630 Tonnen schwere Zirkusequipments des Cirkus Roncalli für dessen Tournee mit der Bahn. Der Hafen Wien war Umschlagplatz für die Vorstellung in der Hauptstadt.

Die RCG übernahm dabei den Transport in Passau in Deutschland und brachte das Equipment bis zum Hafen Freudenau in Wien. Die Ladung besteht aus 30 bis zu 120 Jahre alten und top restaurierten hölzernen Circus- und Schaustellerwagen, diversem Equipment wie Zäunen und Zeltplanen sowie Kleinfahrzeugen. Auch rund 4,5 Kilometer Kabel, 10.000 LED-Lampen und 5 Kilometer Wasserschläuche fanden auf einem 700 Meter langen Ganzzug mit 23 Waggons ihren Weg nach Wien.

Mehr unter: https://dispo.cc/transport/circus-ronca ... -der-bahn/
--------------------------------
http://www.circusworld.de
--------------------------------
Antworten