Sizilianisches Abenteuer - Ein Circuserlebnis

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Sizilianisches Abenteuer - Ein Circuserlebnis

Ungelesener Beitrag von Admin » 16.07.2007, 15:34

Mit dem Circus durch Sizilien

Im Winter 1975/76 liess ich mich von einem befreundeten Clown, dessen Frau Sizilianerin ist, zu einem Circus nach Sizilien lotsen. Da italienische Circusse Interesse an zuverlässigen deutschen Arbeitern haben, motivierte ich noch zwei weitere dazu. Der eine war gut 1,80 gross und Sohn eines Boxers und Flesh war ein Zweizenterfass, der den sonnigen Süden den deutschen “Gardinen” vorzog.

Aber ich reiste zunächst allein voraus, da die anderen Beiden erst etwas später nachkommen konnten. Mit meinem Hund im Nachtzug bis Rom und dann weiter bis nach Sizilien. Nachts kam ich in Catania an und hatte nur die Telefonnummer des Schwagers meines Freundes. Diese halfen mir dann eine preiswerte Pension zu finden. So wanderte ich zwei Tage durch Catania und erlebte dort viel kurioses. Erst dann erfuhr ich den Gastspielort zwischen Catania und Messina. Wäre ich am hellen Tag angereist, wäre ich mit dem Zug am Zoo-Circo Nones direkt vorbei gefahren.

Denn dieser hatte kurzerhand die Uferstrasse abgesperrt und da sein Zelt aufgebaut. Da der Platz etwas zu knapp war, endete dieses zum Meer hin an einer Seite bei den Quaterpools. Dort liess man die Plane einfach herabhängen. Ein seltsamer Anblick auf so ein abgehaktes Chapiteau. Dieses war ein grosser Zweimaster mit Manegenwagen. Die Masten waren mit dem Wagen verbunden und konnten auf diesen direkt umgeklappt werden.

Das Programm lief auf dieser erhöhten Bühne ab, auch die Pferde und der Elefant. Dieser hatte sich an diesen etwas wackligen Untergrund gewöhnt. Ausserdem gab es Löwen und eine Affendressur. Das Zelt wurde bei jedem Wetter aufgebaut, auch wenn der sandige warme Sturmwind von Afrika her blies. Kleine Risse der Nähte in der Zeltplane waren normal und wurden alle paar Wochen mit einem Folienschweissgerät repariert. Da es selten regnete, war dies kein grosses Problem. Im Chapiteau gab es ein zweiteiliges Gradin und Logen. Gradin B war etwas billiger als Gradin A. Die Besucher wurden durch Gitter dorthin geleitet. Die Verneigung der Artisten erfolgte hauptsächlich zu Gradin A hin, selten zu der billigeren Seite hin. Dies war schon recht eigenartig.

Die Direktion bestand aus den Familien Guglielmo Nones und Guido Arata. Guglielmo war der Bruder von Walter Nones, dem Ehemann von Moira Orfei. Guido Arata ein Verwandter der bekannten Artisten und Agenten Gebrüder Arata. Deren Vater war auch mit in Sizilien. Ein überaus lustiger Mann, der auch mit Gips am Bein nichts von seiner Lebenslust verloren hatte. Guglielmo, Guido und der alte Arata sprachen alle gut deutsch, ebenso mein Freund und dessen Frau. So musste ich nicht gleich italienisch lernen. Dies geschah dann beim Essen, wo der kleine Nino mich lehrte “Cortello”, “Forgetta”, ....; er lernte dafür von mir deutsch. Ebenfalls mit vom Team war in blitzgescheiter Ägypter, dessen Eltern ihn vor dem Sechstagekrieg zur Desertion motiviert hatten. Nun musste er sich in Italien verstecken und fand diesen Schutz beim Circus. Ich sprach mit ihm in englisch und wir wurden damals Freunde. Artistisch war das Programm ordentlich und so klapperten wir viele kleine Orte zwischen Catania, Messina und Palermo ab. Später kamen die beiden anderen Deutschen dazu und so erlebten wir eine überaus abenteuerliche Wintersaison.

Oft bauten wir das Zelt direkt neben dem Meer auf. Die Masten von den Zugmaschinen gehalten, deren Räder kurz vor dem Sand standen. Anker wurden nie gebraucht. Die Seile wurden um die Wägen, Bäume oder Häuser geschlungen. Einmal war ein Platz zu feucht und da bauten wir auf dem Dorfplatz einer im Rohbau befindlichen Neubausiedlung auf. Die Seile wurden die Fenster gezogen und an diesen das Zelt befestigt.

Wenn wir neben Orangenplantagen standen kamen die Besitzer mit mehren Säcken kleiner Orangen und gaben uns diese. Aber wir sollten auf keinen Fall die Plantage betreten, “diese werde bewacht”. Darin sahen wir tatsächlich zwei bewaffnete Wächter. Dafür bezahlte der Mann Schutzgeld an die Mafia. Er musste dies, war dafür aber sicher. Solche Begegnungen mit dem Prinzip der Mafia hatten wir noch öfters. Um so näher wir in Richtung Palermo kamen, um so verrückter wurden die Jugendlichen. Manche robbten unter dem Raubtierwagen hindurch und wollten den Löwen die abgenagten Knochen mit blossen Händen wegnehmen. Immer wieder mussten wir diese verjagen und nun Zäune auch an die Rückseite des Raubtierwagens stellen. Eines Tages stoppte unser Konvoi, da die Strasse blockiert war. Oben in den Bergen lieferten sich Jugendliche ein Gefecht mit der Polizei. Schliesslich kamen drei Hubschrauber angeflogen und machten mit Maschinengewehren dem Aufstand ein Ende. Für die Sizilianer schien dies ganz normal, denn sie erlebten dies öfters. Bevor der Circus nach Bagheria, einem Vorort von Palermo reiste, kam ein Mann der sagte, er wisse ein Beschützer des Circus. Er sagte nicht, dass er selber der Bandit ist. So wurde ein Schutzgeld für den Circus ausgehandelt. Wäre die Direktion nicht darauf eingegangen, wäre der Schaden am Circus sicher wesentlich höher gewesen.

Ich fuhr in Sizilien auch grosse Transporte, obwohl ich nur einen normalen Führerschein hatte. Grosse Zugmaschinen mit dem Fahrersitz rechts. Eine ungewohnte Art zu fahren und dann dahinter ein oder zwei lange Wägen. Vieles an den Fahrzeugen war reparaturbedürftig, so manche Kupplung rutsche, Bremsen waren aber unteren Limit, Reifen mit knappen Profil, diverses provisorisch mit Draht repariert. So fährt man in Kolonne, achtet auf die niedrigen Balkone, vorallem in Kurven. Einmal knickte ich so einen hölzernen Telegrafenmast ab und dieser blieb so wacklig stehen. Anhalten ging nicht, denn wenn zwanzig Transporte in Kolonne unterwegs sind, bringt jeder Halt einen totalen Verkehrsstau. Manchmal blockierte ein kleiner Fiat 500 den Weg und wollte stur die Vorfahrt erzwingen. Da konnte man nur die Dauerhupe drücken, bis dieser merkte, dass der grosse Transport nicht weicht. Ein andermal war die Uferstrasse in den Felsen zur Hälfte in die Tiefe hinabgebrochen. Auf der restlichen Hälfte musste man durch. Man suchte die totale Nähe zum Felsen und atmete auf wenn man diesen Engpass durchquert hatte, denn daneben ging es hunderte Meter hinab zum tobenden Meer.

Einmal mussten wir in einem Ort einen grossen Bogen ausfahren, da eine Strassenkreuzung zu eng war. Als es dann schräg bergab ging, versagten bei meiner Maschine die Bremsen und ich fuhr dem vorausfahrenden Stromaggregat auf. Schnell wurde der Raubtierwagen hinter mir mit Klötzen gesichert und abgehängt. Ein mutiger Italiener übernahm das Steuer, während ich die Handbremse hielt. Nun stieg ich aus der Maschine und alle Transporte machten die Strasse frei. Der Italiener versuchte nun die Maschine hinab zu lenken, aber knallte voll gegen eine Hauswand. Obwohl es ihn darin fast überschlug, kam der drahtige Kerl ohne Blessuren davon. Die Maschine war schwer beschädigt und lies sich nicht mehr bewegen. Sie blockierte für Stunden die Hauptstrasse zwischen Messina und Palermo. Damals gab es noch keine Autobahn, also staute sich der Verkehr in beide Richtungen in fast zehn Kilometer Länge, bis endlich in einem Steinbruch in den Bergen eine grosse Schubraupe gefunden wurde. Dieser gelang es die demolierte Zugmaschine auf die Seite zu ziehen. Diese wurde dann auf eine Bahnlore gezogen und ging ab ins Winterquartier bei Neapel, von wo bald darauf eine Ersatzmaschine kam. Dies war billiger, als diese Maschine vor Ort zu reparieren. Das Winterquartier der Familien Nones hatte eine eigene Werkstatt.

Die Direktion war einen Tag sehr aufgeregt und dann war der Vorfall vergessen. Es waren feine Leute und wir bekamen im Direktionsküchenwagen ein sehr gutes Essen geboten. Auch die Bezahlung war absolut korrekt und ich denke gerne an diese Zeit zurück.

Guglielmo traf ich viele Jahre später noch einmal beim Circo Moira Orfei, wo er eine Schimpansendressur zeigte. Leider ist er bereits sehr früh verstorben.
Mit circensischen Grüßen

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