Marvelli – Zauberer im Frack

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Circusworld
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Marvelli – Zauberer im Frack

Ungelesener Beitrag von Circusworld » 16.07.2007, 23:05

Marvelli – Zauberer im Frack
Mühsal und Glanz im Leben eines großen Artisten

Von ALEXANDER WARTENBERG

Einen Gruß an die Berliner, die sich von mir so gern verzaubern ließen.
Ich freue mich, daß der Rückblick auf mein Artistenleben zuerst in der “Berliner Morgenpost” erscheint.
Marvelli

I
Es wird dunkel in dem kleinen Konzertsaal. Und plötzlich flammt dort vorn auf der Bühne ein weißer Blitz auf – in dem grellen Schein erkennt man sekundenkurz einen Herrn im Frack, die schlanken Hände leicht erhoben, in der eleganten Haltung, wie er auf Tausenden von Plakaten in ganz Europa zu sehen ist. Schon ist der Blitz wieder erloschen. Aber dann wird es auf einmal strahlend hell im Saal und auf der Bühne.
Wieder ein verblüffender Eindruck: keine Requisiten! Nur ein kleines Tischchen steht nah an der Rampe. Der Herr im Frack aber hat jetzt vier weiße Bälle in der rechten Hand, läßt sie lächelnd in die Luft verschwinden, zaubert sie mit Leichtigkeit wieder hervor und spricht dabei sein Publikum an:
“Meine Damen und Herren, natürlich kann man gar nicht zaubern! Man kann nur täuschen. So vieles im Leben ist Täuschung – Was ich Ihnen zeigen möchte, das ist Täuschungskunst. Wenn Sie genau aufpassen, müssen Sie mich erwischen, denn das alles ist natürlich ganz einfach!”
Weiß der Himmel, was die Damen in ihren Abendkleidern und die Herren im Frack und Smoking von diesem Abend erwartet haben! Sie wissen – vor ihnen steht Europas berühmtester Zauberer, der auf zwei Weltkongressen der Zauberer den Magischen Ring gewonnen hat – ein Artist erster Klasse. Aber ist das überhaupt Zauberei? Er trägt keinen weiten chinesischen Rock, in dem sich so viel verstecken läßt, es fehlen, die vielen Schränke, Truhen, Tische, Vorhänge und Koffer der Magier alten Stils, und ebenso wenig ist ein Assistent auf der Bühne zu erblicken. Will Marvelli allein da vorn zwei Stunden lang dem Publikum etwas vorzaubern? Genau das will er. Und er wird aus einem blasierten und etwas mißtrauischen Publikum mit seinem Geplauder, der immerfort begleitenden leisen Musik und seinen alles Denkbare und Glaubwürdige übersteigenden Tricks schon nach den ersten 20 Minuten eine Art Kindergeburtstagsgesellschaft machen. Ältere Herren mit grauen Schläfen werden sich danach drängen, auf die Bühne zu kommen, um selbst zaubern zu, dürfen. Würdige Damen mit schulterfreiem Kleid werden jubeln wie Zehnjährige im Kindergarten. Aber immer wieder wird die Zuschauer zwischendurch ein unerklärliches, unheimliches Gefühl beschleichen: wie ist das alles möglich – wie kann so etwas überhaupt geschehen!
Es ist ein Programm, so künstlerisch aufgebaut und ausgewogen, wie es kein zweiter Zauberer auf der Erde zeigt. Er narrt, foppt und lockt das Publikum. Er hat ein grünes Seidentuch aus der Luft gegriffen, verschwinden lassen und nimmt es lächelnd einer Dame in der ersten Parkettreihe aus dem Theatertäschchen: “Aber meine Damen und Herren, das war doch so einfach, das mußten Sie doch merken. Passen Sie auf, ich mache es Ihnen noch einmal ganz langsam vor. Hier ist das grüne Tuch! Wo ist es jetzt?”
Ein einziger Aufschrei des Publikums: “Dort, unter Ihrer Frackweste!” Marvelli sieht betroffen an einer Weste hinunter und entdeckt tatsächlich einen grünen Zipfel. Er zieht ihn mit spitzen Fingern hervor – und siehe da, es ist ein winziges Stück Seide, so groß wie ein Daumennagel. Gelächter braust durch den Saal – und im gleichen Augenblick bittet er einen Herrn, der nicht weit von ihm sitzt, und zu dem er jetzt hinübergeht, doch seine Brieftasche zu öffnen.
Es gibt keine Zauberei – aber just in dieser Brieftasche ist das grüne ...

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