Circusthemen im Theater und Musical

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Gerd
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Circusthemen im Theater und Musical

Ungelesener Beitrag von Gerd » 05.07.2007, 19:13

"Katharina Knie" von Carl Zuckmayer ist eines der bekannten Theaterstücke, die im Seiltänzer-, Artisten- und Circusmilieu handeln.

Die Carl-Zuckmayer-Gesellschaft in Zuckmayer's Geburtsort in Nackenheim bei Mainz führt dieses Stück alle paar Jahre wieder auf:

Das Stück spielt in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die Inflation bringt Mensch und Tier in Not. Der Hunger ist Stammgast an deutschen Tischen und Trögen, ein Brot kostet Millionen! In den Städten kämpfen die Menschen ums bloße Überleben. Auf dem Lande ist die Lage ein wenig anders, hier leben die Selbstversorger. Vielleicht ist Karl Knie mit seiner Seiltänzerfamilie eben deshalb von einem pfälzischen Dorf ins andere gezogen. Aber auch hier kann sich kaum noch einer den Besuch einer artistischen Schau leisten. In den Wohnwagen der Knies suchen die Gerichtsvollzieher ständig nach etwas Pfändbarem.

Eines Tages erscheint der junge Landwirt Rothacker in Begleitung des Dorfpolizisten auf dem Zirkusplatz. Drei Säcke Hafer von der besten Sorte seien ihm gestohlen worden, den Dieb vermutet er bei der Truppe Knie. Der alte Seiltänzer, aufrecht und ehrlich, ist außer sich über einen derartigen Verdacht. Und doch stellt sich heraus, daß seine Tochter Katharina den Hafer gestohlen hat, für Mali, ihr Eselchen. Knie geht mit dem Stock auf seine Tochter los, Rothacker springt dazwischen und verhindert so das Allerschlimmste. Insgeheim liebt Katharina den jungen Bauern, und zwar schon seit langem, schon seit sie noch ein Kind war, die Seiltänzer kommen nämlich schon seit Jahren immer wie-

der in dieses Dorf Ihren Höhepunkt findet diese Liebesgeschichte in Katharinas Entschluß, die Truppe zu verlassen und an der Seite Rothackers seßhaft zu werden.

Der alte Knie zerbricht daran. An jenem Abend, den wir im Stück erleben, besucht Katharina ihren Vater, um ihm mitzuteilen, daß sie Rothacker heiraten werde. Bevor sie aber zu dieser Eröffnung kommt, läßt Knie noch einmal die Geschichte seiner Seiltänzerfamihe Revue passieren, große Namen tauchen auf bedeutende Ereignisse - und das alles droht nun durch die Verhältnisse dieser Zeit zugrunde zu gehen! Und dann versucht Katharina ihrerseits eine Lebensbilanz zu ziehen, die ihre Entscheidung, sich endgültig von der Seiltänzerei zu verabschieden, stützen und begründen soll. Doch der alte Knie kann das alles nicht mehr wahrnehmen, er ist unbemerkt gestorben.

Sein Tod verändert schlagartig alles. Katharina erkennt nun, wohin sie gehört. Sie erkennt, daß sie ihr persönliches Glück nicht über das ihrer Familie stellen darf sie verzichtet auf das sorglose Leben als Ehefrau des wohlhabenden Bauern Rothacker, sie stellt sich in der Nachfolge ihres Vaters an die Spitze der Seiltänzertruppe Knie, es geht weiter!

Es ist dies ein Stück der Ambivalenzen, ein Stück des Schwankens, des Pendelns, ein Stück, das nicht nur die Geschichte einer Seiltänzerfamilie lebendig werden läßt, es gleicht auch in seiner dramaturgischen Struktur einem Seiltänzer, der ständig schwankend und pendelnd sich über dem Abgrund vorwärts bewegt. Katharina schwankt zwischen einem wohlhabenden, bürgerlichen Leben und dem einer fahrenden Artistin; der alte Knie schwankt zwischen der Frage, ob er die Truppe aufgeben oder ob er sie, allen wirtschaftlichen Widrigkeiten zum Trotz, weiterbestehen lassen soll; der Gerichtsvollzieher schwankt zwischen Amtspflicht und Mitleid; der Bauer schwankt zwischen Sühneverlangen und verständnisvollem Verzeihen; und das Stück insgesamt schwankt zwischen Weinen und Lachen.

Für die einen ist dieses »Liebeslied auf die fahrende Leut« ein Stück allzu dickflüssiger Nostalgie, zu sentimental, zu wenig allgemeingültig in seiner Aussage, für die anderen ein sehr genaues Genrebild der frühen zwanziger Jahre, ein Stück voller Poesie, menschlicher Wärme und voller Mitgefühl mit jenen Menschen, die härter als andere um ihre Existenz kämpfen müssen.
Viele Grüsse

Gerd
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