Markschiess van Trix verstorben

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Markschiess van Trix verstorben

Ungelesener Beitrag von Circusworld » 12.09.2017, 00:01

Johnny Markschiess van Trix ist nun im Alter von 93 Jahren verstorben. :(
Ich war viele Jahre mit ihm in brieflichen Kontakt und habe auch dieses Buch von ihm.
Er war ein grosser Sammler, Autor, Akrobat und Kenner der Circus-, Variete- und Theaterwelt.
Mein herzliches Mitgefühl !

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Artikel aus 2010:
Markschiess van Trix
Jonny und die Artisten

Mit acht bediente Markschiess van Trix im Ballhaus Resi die Rohrpost, mit elf traf er Charlie Chaplin. Später arbeitete er als Akrobat und machte sich zum Archivar der Welt des Varietés. Jetzt wurde er 90 Jahre alt.

Es dürfte kaum noch Berliner geben, die wie Julius Markschiess van Trix seit fast 90 Jahren im selben Kiez leben. Spaziert man mit ihm über die Fischerinsel, bleiben viele stehen, nennen ihn "Jonny" und fragen, wie es gehe. Dabei wissen nur wenige, was Berlin dem Mann mit der Baskenmütze, der am Montag seinen 90. Geburtstag feierte, zu verdanken hat: "Jonny" ist ein leidenschaftlicher Dokumentar der Artistenwelt, war Gründer der Artistenschule, Archivar des Friedrichstadtpalastes, Claire-Waldoff-Chronist, Gründer der "documenta artistica" beim Märkischen Museum – und ist nicht zuletzt ein großartiger Erzähler.

"Hier war mal ein Tanzlokal neben dem anderen." Mit dem Krückstock zeigt er auf die Plattenbauten zwischen Holzmarktstraße und Strausberger Platz. Hier wuchs Markschiess van Trix auf. "Im Haus Nummer 10 war ein Lichtspieltheater und in der 11 das Resi, ein Ballhaus mit Tischtelefon, da hab ich als Achtjähriger die Rohrpost bedient." Früh musste er die alleinstehende Mutter unterstützen, früh bekam er auch Kontakt zu Theater und Varieté. Mit zehn Jahren schloss er sich den Roten Falken an, einer sozialistischen Jugendorganisation. Diese trafen sich in einem Jugendheim in der Waisenstraße, neben dem Gasthaus "Zur Letzten Instanz". "Ich hab da gerade mit meinem Freund Rechenberg Fußball gespielt", erzählt Markschiess, "dessen Eltern hatten ja da die Kneipe, als plötzlich ein großes Auto angefahren kam, ein Riesenbrummer. Richtig feine Pinkel stiegen aus. Wir waren neugierig und warteten. Als sie wieder rauskamen, sahen wir, dass es Charlie Chaplin war." Damals im März 1931 entstand ein Foto mit ihm und Chaplin, der in Berlin "Lichter der Großstadt" präsentierte. Zu dieser Zeit wusste der junge Markschiess schon genau, wer Chaplin war, las Bücher über Artisten, Schauspieler und das Varieté, hatte erste Programmhefte von Zirkus Busch in einer Mappe verstaut.

Schon früh ging er zum Verein Union-Victoria, trat mit einer Nummer am sogenannten Hängeperch auf, gab sich den Künstlernamen "Jonny". Zugleich machte er eine Lehre als Fahrradmechaniker in Weißensee, hatte einen Zweitjob im Hotel Europäischer Hof, direkt neben dem Wintergarten, wo er beim Hotelfriseur dessen Direktor Ludwig Schuch kennenlernte, der ihm neueste Plakate und Programmhefte schenkte. Von da an hieß es: Sammeln, sammeln, sammeln. "Alles, was ich in die Finger bekam, steckte ich in Kartons", erzählt er grinsend. Neben der Artistenkarriere arbeitete er als Schreibmaschinenmechaniker, wurde dienstverpflichtet, schließlich zur Wehrmacht eingezogen. An der Front, kurz vor Moskau, gründet er das Soldatentheater "Sprenggranate".

In Berlin war sein Kiez ausgebombt, und so ging er nach dem Krieg nach Braunschweig, machte eine Künstlervermittlung auf. Er selbst tingelte zwischendurch mit einer Fangstuhl-Nummer durchs Land, landete wieder in Berlin. Im Herbst 1946 dann das Aus: Markschiess flog vom Trapez, mit der Artistenkarriere war es vorbei. Er ging zur SK 13 ins Polizeirevier Berlin-Mitte, einer Sonderkommission gegen Schieber und leichte Mädchen. Schon nach drei Monaten hatte er dort eine Laienspielgruppe für Volkspolizisten aufgebaut. 1952 wechselte er zum alten Friedrichstadtpalast, zunächst als Werbeleiter. "Ich hab da die ganze Geschichte des Hauses ausgegraben, da lagen massenweise Unterlagen in den Räumen rum, die sich noch keiner richtig angesehen hatte". In dieser Zeit setzte er sich auch für junge Artisten ein und gilt als Gründer der Berliner Artistenschule, die 1956 öffnete.


Manchmal vergisst Markschiess schon mal was, doch er hat alles aufgeschrieben. In seiner Wohnung in der Wallstraße stapeln sich dicke Ordner. 1969 brauchte die DDR einen Mann, der den Kulturpark Plänterwald wieder zum Leben erweckte. Zehn Jahre später holte man ihn ans Märkische Museum,wo er in zehn Jahren die „documenta artistica“ aufbaute. Als er in der Wallstraße geeignete Räume erhielt, um sie dauerhaft zu präsentieren, erfüllte sich für ihn ein Lebenstraum. „Der war 1994 ausgeträumt“, sagt er, „meine gesamte Sammlung verschwand mit Gründung der Stiftung Stadtmuseum in den Archiven.“

Mehr unter: http://www.tagesspiegel.de/berlin/stadt ... 08044.html
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Re: Markschiess van Trix verstorben

Ungelesener Beitrag von Circusworld » 07.10.2017, 12:19

Nachruf auf Jonny Markschiess van Trix (Geb. 1920)
Applaus für Jonny!

Er stand mal neben Chaplin: Der Knabe in Gelb. Und wollte mindestens so berühmt werden. Ganz hat er das nicht geschafft, aber fast. Der Nachruf auf einen Botschafter des Tingeltangel.

Das Wichtigste vorneweg: Am 17. Oktober, das ist der übernächste Dienstag, ist Beerdigung. Um eins auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. In Ost-Berlin ist das der Wichtige-Leute-Friedhof. Und dass Jonny wichtig war, ist ja wohl unbestritten. Das hatte viel mit dem Osten zu tun, einerseits. Andererseits lag es daran, dass er wichtig sein wollte, von Kindesbeinen an.

Womöglich war er es zu Hause nicht. Der Vater war verschwunden, die Mutter eine Putzfrau, also suchte der Knabe anderswo nach Anerkennung. Es waren die 20er und 30er Jahre, da erlebten die Kinder aus den einfachen Familien ihre großartigsten Momente, wenn Gaukler und Artisten mal vorbeikamen und für ein paar Pfennige und viel Applaus ihre Kunststücke vorführten. Da war die Mutter froh, als der Sohn Gaukler oder Artist werden wollte und sich dem Neuköllner Artistenverein „Union Victoria“ anschloss: Hauptsache, der Junge ist von der Straße. Allein in Neukölln gab es zu der Zeit vier solcher Vereine – wer heute Fußballer werden will, wollte damals ans Trapez. Julius hieß der Junge, ließ sich aber lieber Jonny nennen, denn was einen Julius umhaut, lässt einen Jonny doch nur müde lächeln.

Und das ist nun die Stelle, an der die Geschichte erzählt werden muss, die schon so oft erzählt wurde, die mit Charlie Chaplin. Später trug Jonny immer Karten bei sich mit dem Foto, auf dem er, blond und elfjährig, neben Charlie Chaplin steht. Vielleicht hatte der Pullover damals eine andere Farbe, auf dem nachträglich kolorierten Foto ist er gelb und leuchtet mehr als alles andere auf diesem Bild. Ein Fingerzeig, um wen’s hier geht. Jonny also gab das Bild heraus wie eine Visitenkarte: Das da, das bin ich! Chaplin habe damals Berlin besucht anlässlich der Premiere seines Films „Lichter der Großstadt“. Er habe sich in Berlins alte Mitte chauffieren lassen, um zu sehen, wie die Berliner Großstadtjugend lebt, Jonny habe gerade mit einem Freund dort Fußball gespielt, den Schauspieler erkannt, um sodann mit ihm via Dolmetscher in ein angeregtes Gespräch zu geraten, aus dem, so Jonny, später ein angeregter Briefwechsel geworden sei. Ob Letzteres so stimmt, sei dahingestellt, ebenso die Deutung, dass dieses Zusammentreffen ausschlaggebend für Jonnys Karriere war. Der Knabe auf dem Foto aber scheint tatsächlich er zu sein.

Wichtiger als Chaplin waren „Die fliegenden Codonas“, eine amerikanische Artistentruppe, die den dreifachen Salto vom Trapez vorführte und die Jonny mit 15 im „Wintergarten“ sah. Durch die Lüfte fliegen und sich auf der ganzen Welt bejubeln lassen – das wollte er auch!

Er trainierte in Neukölln, vollzog Kunststücke am „Hängeperch“, einer Stange, die an der Decke hängt, an welcher wiederum Artisten hängen und mit unglaublicher Kraft und Körperspannung die Gliedmaßen in alle Richtungen strecken. Vom Können allein wird aber keiner berühmt; um sich als Artist einen Namen zu machen, muss der Name irgendwie artistisch klingen. Darum hängte Jonny das van Trix ans Markschiess ran. Aber selbst das half wenig. Am Hängeperch ließ sich kaum Geld verdienen. Hinzu kam, dass er den Nazi-Kulturkontrolleuren keinen ordentlichen „Ariernachweis“ vorlegen konnte. Die Herkunft seines Vaters war ungeklärt. So reparierte er Fahrräder und Schreibmaschinen, war Portier, verteilte Programmhefte und klebte Plakate für Varietés. Die begann er auch zu sammeln, was viel später wichtig werden sollte. Vorerst fingen die Deutschen einen Krieg an, und Jonny, im allerbesten Kanonenfutteralter, zog hinein und gelangte irgendwie auch wieder raus. Über die näheren Umstände hat er nicht viel erzählt.


Entscheidend war: Nach dem Krieg, zwischen allen Trümmern wollten die Leute wieder unterhalten werden. Jonny stieg in die Manege, schaukelte am Trapez – und stürzte ab. 1946 war das, sechs Meter tief ist er gefallen. Sein rechtes Bein war hinüber und damit auch der Traum vom fliegenden Berühmtwerden. Nie würde er den Applaus bekommen, den er verdiente. Oder doch?

Zunächst verdingte er sich bei der Polizei. Er kannte sich ja in den zweifelhaften Gegenden um den Alexanderplatz aus und schob Dienst in einer Sonderkommission gegen Schieberei und Prostitution, kurz und jonnyhaft: „Ick war bei der Sitte. Könn’ Se sich dit vorstell’n?“

Auch was er des Weiteren alles war, kann sich natürlich überhaupt niemand mehr vorstellen. Eine Zeitlang managte Jonny eine Artistengruppe in Braunschweig, um dann, zurück in Berlin, beim Friedrichstadtpalast anzuheuern. Da war er für die Werbung zuständig und machte seine ersten Ausstellungen, wovon noch viele Dutzend folgen sollten.

Denn sein zweiter Drang neben dem des Wichtigwerdens war der des Sammelns. Was immer er zu seinem Thema, Zirkus, Varieté und Tingeltangel, in seinen Besitz bringen konnte, hortete er. Wenn er schon nicht in der Manege stehen konnte, so wollte er alles Großartige, das in Manegen geschehen war, bezeugen. Und wenn jemand das Wort Tingeltangel abschätzig benutzte, wenn jemand Zweifel daran hegte, dass Jonny dem Schönsten und Größten auf der Spur war, dann holte er die Kopie einer chinesischen Plastik raus, ein Balljongleur, sagte, dass das Original 3000 Jahre alt sei und dass etwas, das so alt sei, also der „Tingeltangel“, nichts Banales sein könne, „versteh’n Se dit?“

Mehr unter: http://www.tagesspiegel.de/berlin/nachr ... 18366.html
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