Renè Strickler

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Renè Strickler

Ungelesener Beitrag von Circusworld » 26.06.2017, 12:54

Die Löwin als Diva

Pat hat ihrem Menschen ihre ersten Babys in den Schoss gelegt und war zudem eine perfekte Schauspielerin. Das erzählt ihr Besitzer, der Tiertrainer René Strickler.

Als junger Tierlehrer begann ich meine Laufbahn in einem Kleinzoo. Dort fiel mir sofort auf, wie intelligent insbesondere die Löwen und Tiger sind. Doch dieses Potenzial lag brach. Ich fragte mich: Weshalb müssen diese ganz besonderen Tiere ein derart ödes und gelangweiltes Leben führen? Weshalb ist es nicht möglich, dass sie eine Beschäftigung bekommen und damit eine Bestätigung? Das wollte mir nicht mehr aus dem Kopf.

«Löwen haben Sensoren, die sofort registrieren, wenn die Stimmung um sie herum nicht entspannt ist.»

Ich versuchte, den Zoobesitzer für meine Überlegungen zu gewinnen. Er willigte schliesslich ein, und ich durfte mich um die Löwen und die Tiger kümmern. Wenn ich mir das denn zutraue, könne ich sie ausbilden, meinte er. Man muss dazu wissen, die Tiere waren bereits 18 Monate alt.

Bald kam aus einem Zoo in Hannover eine neue Löwin im Alter von erst 14 Monaten zu uns. Pat! Sie reiste in einer Kiste. Der Umzug und die neue Umgebung hatten sie allerdings sehr verunsichert. Ich stellte fest, wie desorientiert sie bei ihrer Ankunft war. Deshalb bin ich den ganzen ersten Abend an ihrer Seite geblieben. Ich sprach stundenlang beruhigend auf sie ein. Mir war klar, egal was passiert, ich muss diesem Tier so schnell wie möglich Halt geben. Ich sprach Schweizerdeutsch mit ihr, halt so natürlich wie möglich. Das ist wichtig, Tiere haben Sensoren, die sofort registrieren, wenn die Stimme der Menschen und die Stimmung um sie herum nicht entspannt sind.

In den ersten Stunden hat mich Pat völlig ignoriert. Doch schon bald muss sie sich gefragt haben: «Was ist denn das für ein Zweibeiner, der nicht von der Stelle weicht?» Langsam gewann sie Vertrauen. Nach fünf Stunden – nach nur fünf Stunden, ich hielt es nicht für möglich – war das Vertrauen der Löwin in mich so gross, dass ich ohne Bedenken ihren Käfig betreten konnte.

Pat wurde völlig ruhig. Sie war bald richtig relaxt und hat sich sogar neben mich hingelegt. Ich konnte sie streicheln. Sie schien mir richtiggehend erleichtert, dass ihr jemand Halt schenkte. Und, glauben Sie mir: Diese Nacht, diese ersten gemeinsamen Stunden und mein Versuch, ihr am neuen Ort Sicherheit zu vermitteln, das hat uns beide für immer zusammengeschweisst.

Pat war sensationell. Sie hat in meiner gemischten Raubtiergruppe mitgearbeitet, es war zu jener Zeit die grösste gemischte Gruppe weltweit. Dann kam der Zeitpunkt, an dem sie Junge erwartete. Wir waren damals auf Gastspiel auf Mallorca. Eine Löwin trägt etwa 115 Tage, ich habe sie in der Zeit intensiv begleitet. Nach 115 Tagen war Pat überfällig.

Dann wollte es der Zufall, dass ich zum Datum der Geburt in die Schweiz reisen sollte. Mein guter Freund Rolf Knie heiratete. Drei Tage lang war ich nicht bei ihr. Als ich zurückkam, fragte ich den Tierpfleger als Erstes: «Hat Pat jetzt endlich Junge?» Die Antwort war: «Nein.» Noch im Reiseanzug habe ich sie aufgesucht. «Pat, was ist denn los?» Als sie mich sah, blühte sie sichtbar auf. Ich ging zu ihr in den Käfig, redete mir ihr, beruhigte sie, und es dauerte nicht lange, da haben die ersten Wehen eingesetzt.

Pat gebar insgesamt drei Junge. Sie hat sie trocken geleckt – und dann legte sie ihre drei Babys in meinen Schoss! Sie kauerte erschöpft neben mir und barg den Kopf auf meiner Brust. Einen grösseren Vertrauensbeweis einer Löwenmutter gegenüber einem Menschen ist undenkbar. Dabei hatte ich ihr bei der Geburt ja gar nicht helfen können. Alleine der seelische Beistand schien für sie eine Unterstützung gewesen zu sein.

.....

Pat war für die gute Stimmung äusserst empfänglich. Ihr war klar, wenn sie ihre Wange an meine reibt, verstärkt sie die Begeisterung der Menschen – und damit hat sie gespielt. Sie hat es richtiggehend ausgekostet. Sie schmuste auf diesem Balken jedes Mal länger, weil sie wahrnahm, welchen positiven Effekt sie damit erzeugt.

Nach neusten Schätzungen haben Löwen in der Wildnis eine Lebenserwartung von rund 10 Jahren. Pat ist mit 22 Jahren gestorben. Natürlich, im Zoo und im Zirkus leben die Tiere länger. Wobei, in der freien Wildbahn wird die Babysterblichkeit dazugerechnet, und so rutscht die Lebenserwartung der Tiere statistisch nach unten. Doch bedenken Sie auch: Das Leben des «Königs der Tiere» ist gar nicht königlich, es ist hart. Die männlichen Löwen werden ausgestossen, weil die Jungen das Rudel übernehmen wollen – oder müssen. Dann müssen sie sich alleine durchschlagen.

Pat war meine Lieblingslöwin. Irgendwann merkte ich, dass sie nicht mehr fressen wollte. Wir gastierten zu jener Zeit mit dem Zirkus Knie in Freiburg. Von dort aus brachte ich sie ins Tierspital in Bern. Der Arzt sedierte sie, um sie zu untersuchen. Nach einer Stunde kam er aus dem Operationssaal und teilte mit, dass er sie nicht mehr aufwachen lassen wolle. Pat habe Krebs und keine Überlebenschance.

Das war hart. Von einem Tier Abschied nehmen zu müssen, ist ein besonders schwerer Moment. Doch ich wurde gebraucht. Ich reiste zu meinen andern Tieren und zum Zirkus zurück. Nur drei Stunden später stand ich wieder in der Manege – und dort musste ich lächeln, als ob Pat noch am Leben wäre.

Mehr unter: https://www.nzz.ch/gesellschaft/tierisc ... ld.1302396
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Re: Renè Strickler

Ungelesener Beitrag von Circusworld » 26.11.2023, 02:47

Ein tolles Video aus vergangen Tagen. :)

Renè Strickler mit seiner grossen Gemischten Raubtiergruppe beim Zirkus Roncalli 1990

http://www.youtube.com/watch?v=cZ4cC3npnIs
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