Lieber Othmar,
Du weißt, dass ich Deine Meinung sehr schätze, aber bei diesem Thema denke ich doch, dass ich um Differenzierung bitten muss.
Othmar hat geschrieben:Auch hat er gesagt das Kinder nicht, wie anfaenglich behaubted, auf alles einen Anrecht haeteen ohne dafuer Gegenleistungen Erbringen zu muessen (auch leichte arbeit). Er gab auch zu das seine Ideology "...mit groesster Wahrscheindlichkeit dazu beigetragen habe das die heutige Generation im grossen und ganzen Leistungsunfaehig sei und glauben das sie auf alles ein Anrecht haben ohne dafuer Gegenleistungen erbringen zu muessen.
Ich bin mit Dir der Meinung, dass Kinder den Zusammenhang zwischen "Arbeit" und "Belohnung" lernen
müssen. Und ich erinnere mich auch gut: Als ich noch Reitstunden gegeben habe, habe ich mit schöner Regelmäßigkeit die jungen Reitschüler rausgeschmissen, die 10 Minuten vor der Stunde von den Eltern vorgefahren wurden und erwarteten, dass ich mit dem geputzten, gesattelten Pony bereit stehe, sie draufsetze und danach, wenn sie ihre Stunde hatten, das Pony wieder wegepacke. Gerade beim Reiten bin ich der Meinung, dass man sich das Vergnügen dadurch verdienen muss, dass man das Pferd versorgt. Wer nicht willens ist, eine Box zu misten und ein Pferd zu putzen, gehört nicht in den Sattel.
Für mich ist ganz klar: Kinder müssen lernen, für
ihre Wünsche zu arbeiten und sich einzusetzen. Aber meine Grenze liegt eben bei diesem "ihre" Wünsche.
Ich komme ursprünglich aus der klassischen Musikbranche - und in der habe ich mehr als einmal erlebt, dass Kinder hart gearbeitet haben, um die Wünsche ihrer Eltern zu befriedigen. Ich erinnere mich speziell an einen, inzwischen sehr prominenten Fall einer jungen Musikerin mit einem superehrgeizigen Vater. Die junge Dame war ohne Zweifel hoch begabt und ein richtiges "Wunderkind". Demzufolge wurde sie schon als 10-, 11jährige über irgendwelche Wettbewerbe geschleift und dann, als durch diverse Preise der Name bekannt war, aus der Schule genommen und mit Privatlehrer auf teilweise monatelange Tourneen geschickt. Ihr Vater gab praktisch den eigenen Beruf auf, um die Tochter zu managen.
Damit verbunden war natürlich auch, dass er an ihr verdient hat. Sie hat schließlich für das Familieneinkommen gesorgt.
Solche Fälle kennt man ja nun auch aus der Schauspiel- und der Sportbranche - und dazu muss ich sagen: Geht in meinen Augen gar nicht. Unter gar keinen Umständen. In dem Moment, in dem das Kind nicht mehr arbeitet, um
seine Wünsche zu erfüllen, sondern die anderer Leute, ist bei mir Zapfenstreich, aus und Ende.
Kinder haben das Recht, behütet aufzuwachsen. Und sie haben auch das Recht, in Verantwortungen schonend und langsam hinein zu wachsen. Eine 12jährige, die ihre Eltern ernähren muss und dazu aus der Schule und ihrem sozialen Umfeld gerissen wird, die sechs bis sieben Stunden am Tag übt (was auch immer) und nicht mehr dazu kommt, mit Freunden zu spielen - das ist für mich falsch, ob es nun auf dem Konzertpodium, in einem Filmstudio oder im Zirkus stattfindet. Und wer mir - auch schon x-fach erlebt - dann damit kommt, dass das Kind das ja selbst "will", beißt auf Granit. Ich glaube einfach nicht, dass ein Kind oder Jugendlicher unter 16 solche Entscheidungen und ihre Auswirkungen in letzter Konsequenz übersehen kann.
Ich hab' diesbezüglich im ganz engen Umfeld eine interessante Erfahrung gemacht. Die Tochter eines durchaus prominenten Schauspielers durfte - "just for the fun of it" - als 12jährige in den Schulferien mal für eine Woche mit dem Vater drehen (die Tatsache, dass Schauspielerkinder eher für Filme engagiert werden als Normalverbraucher-Gören hat nicht nur damit zu tun, dass ihre Eltern Einfluss nehmen können, sondern viel mehr damit, dass Schauspielerkinder üblicherweise eine gewisse Ahnung, wie es auf einem Set zugeht und man sich vor allem darauf verlassen kann, dass ihre Eltern sie schon entsprechend steuern). Die junge Dame zeigte sich dabei als sehr kameratauglich und begabt und bekam prompt danach ein weiteres Angebot - worauf ihr Vater auf die Bremse trat. Die Tochter stand quer im Stall und für die nächsten drei, vier Jahre war das ein dauerndes Streitthema in der Familie. Tochter - dann auch noch pubertierend - ging soweit, ihm vorzuwerfen, dass er ihre "Karriere" verhindere, dass er ihr den Ruhm nicht gönne. Vater blieb stur und sagte: "Nein, wir lassen es nicht so weit kommen, dass du bekannt wirst. Du gehst weiterhin in die Schule und lebst dein ganz normales Leben."
Tochter wurde 18 und stürzte sich voll in die Schauspielerei. Dank ihres Talents und Aussehens und ein bisschen wohl auch Vaters Name schaffte sie es relativ schnell, sich zu etablieren und hatte in den nächsten zwei, drei Jahren einige nette Engagements. Danach aber hat sie aufgehört und ging an die Uni. Und heute, Mitte 40 und in einem ganz anderen Beruf inzwischen sehr erfolgreich, sagt diese Tochter, dass sie ihrem Vater unendlich dankbar dafür sei, dass er damals so stur gewesen sei. Sie habe "Filmkinder" kennen gelernt, sie wisse, wie schwer die sich oft mit dem frühen Ruhm und seinen Auswirkungen auf ihr Leben getan hätten, sie wisse nun auch, wie knallhart diese Branche auch mit Kindern umgeht.
Ich habe keine leiblichen Kinder. Aber ich "steuere" bis zu einem gewissen Grad das reiterliche Engagement einer sehr begabten Stiefenkelin - und stehe da dauernd auf der Bremse. Ich will nicht, dass sie im Kader reitet und jedes Wochenende über irgendwelche Turniere schrubbt. Wenn das ihre Bestimmung ist, kann sie es später noch ein halbes Leben lang machen. Im Moment aber soll sie - ohne Termin- und Erfolgsdruck - Spaß an der Reiterei haben (dass ich ihr dabei auch die nötige Verantwortlichkeit gegenüber dem Pferd beibringe, steht auf einem anderen Blättchen).
Sibylle Luise
"Wie gesagt: Für die Wünsche der Kinder: Ja. Für den Ehrgeiz oder den finanziellen Erfolg der Eltern: Nein!"