Circusfamilie Lorch

Geschichte des Circus, Geschichten, Anekdoten, Rückblicke, Circusmuseum und Circusbauten, Fotos, Programmhefte, ...
Bilder von Chapiteaus, Fahrzeugen, Wägen, sonstiges ..., der Gegenwart und der Vergangenheit.
Benutzeravatar
Gerd
Stamm-Mitglied
Stamm-Mitglied
Beiträge: 389
Registriert: 03.07.2007, 23:25

Circusfamilie Lorch

Ungelesener Beitrag von Gerd » 05.07.2007, 22:24

Aus Eschollbrücken bei Darmstadt stammt eine der ältesten deutschen Zirkusfamilien. 1870 hatte sich die Familie Lorch in Eschollbrücken niedergelassen. In der "Lorche Gass" bauten sie ein Haus. Bereits Ende des 18. Jahrhundert gehen die "Lorch's" auf Reisen.

Ein Jahrhundert später, um 1900, gründete Louis Lorch (1847 - 1924) seine erste Ikarier-Truppe, die Weltruhm erlangte. Sie gastierten nicht nur in ganz Europa, sondern auch in Nors- und Südamerika., aber in Eschollbrücken fühlten sie sich zu Hause. Sein Sohn Julius Lorch wurde als "König der Ikarier" gefeiert.

Als sein Vater Louis Lorch 1924 starb, wurde er auf dem jüdischen Friedhof in Darmstadt beigestzt, wo heute noch sein Grabstein steht.

Sessie, die Frau von Julius Lorch reiste nicht mit, sondern betreute ihre Kinder und Enkel. Nur in der Winterpause war die ganze Lorchfamilie in Eschollbrücken zusammen.
Viele Grüsse

Gerd
Benutzeravatar
Gerd
Stamm-Mitglied
Stamm-Mitglied
Beiträge: 389
Registriert: 03.07.2007, 23:25

Re: Circusfamilie Lorch

Ungelesener Beitrag von Gerd » 05.07.2007, 22:25

Nun ein weiteres, tragischeres Kapitel der Circusfamilie LORCH:

1941 lernt die 18 jährige Irene Danner, den Clown Peter Bento kennen als der Zirkus ALTHOFF nach Pfungstadt kommt.

Irene lebt im hessischen Eschollbrücken, 3 km von Pfungstadt entfernt, mit ihrer Schwester Gerda bei ihrer Großmutter Sessie Lorch . Die Lorchs besitzen später zeitweise sogar einen eigenen Zirkus und sind bekannt in Circuskreisen als die Ikarier: eine sportliche Artistengruppe, die in Torerokostümen auf die Bühne laufen und Pirouetten, Saltos, Flic Flacs vorführen. Doch sie sind Juden und dürfen im nationalistischen Deutschland nicht mehr auftreten. Julius Lorch starb in bitterster Not in Brüssel, als er nach einem Engagement nicht mehr nach Nazi-Deutschland zurück kehren konnte. Seine Frau Sessie hat er nicht wiedergesehen.

So wächst Irene auf, mit dem Bedürfnis eine Artistin zu werden, aber mit allen Hindernissen in dieser schweren Zeit. Sie wird gemieden, ihre Familie denunziert. 1936 will niemand in der Klasse mehr neben ihr sitzen, 1938 muss sie die Schule verlassen. 1939 tritt sie mit den "Carolis" beim Zirkus BUSCH als Kunstreiterin auf, dann trifft auch sie und ihre Mutter das Arbeitsverbot für jüdische Artisten.

Als sie sich 1941 nach einer Vorstellung in den Clown Peter Bento verliebt, wendet sich zwar ihr Leben, doch die Angst vor Entdeckung bleibt. Nur mit Hilfe von engsten Freunden, insbesondere von Adolf und Maria Althoff gelingt es ihnen den Gestapokontrollen zu entgehen. Unter schwersten Umständen bringt Irene ihr erstes Kind zur Welt und ist dem Tode nahe.

Als ihre Großmutter Sessie Lorch und ihr Onkel Eugen Lorch am 07.03.1943 aus ihren Wohnwagen in Eschollbrücken von der Gestapo deportiert wurden, holt Peter Bento mit Adolf Althoff's Genehmigung Irene's restliche Familie in den Zirkus, ein gefährliches Unternehmen und die Reise des Zirkus führt gegen Kriegsende nach Österreich, wo sie ihr Winterquartier einnehmen und das Ende des Krieges herbeisehnen....

Sessie Lorch und und Irene's Onkel Eugen, Arthur und Rudolph Lorch wurden in Auschwitz ermordet. Alphons Lorch war bereits 1940 im Lager Gurs in Frankreich zu Tode gekommen. Viele Mitglieder der einst berühmten Ikarier-Familie haben den Nazi-Terror nicht überlebt.

Halbjüdin Irene Bento (geb. Danner), ihre Kinder, ihre Mutter Alice Danner und ihre Schwester Gerda haben überlebt, weil sie im Circus Althoff vor den Nazis versteckt wurden. Für ihr mutiges Handeln wurden
Maria & Adolf Althoff 1995 für ihr mutiges Handeln von Yad Vashem als "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet.

Mehr über die tragische Geschichte der Artistenfamile Lorch findet man u.a. in folgenden beiden Büchern:

"Der Clown und die Zirkusreiterin"
Ingeborg Prior
Piper Verlag, München 1997; Bd. 2832
240 S.; 8,90 Euro

-------------------------------------------------

"Die Althoff's"
Marlies Lehmann-Brune
Viele Grüsse

Gerd
Benutzeravatar
Gerd
Stamm-Mitglied
Stamm-Mitglied
Beiträge: 389
Registriert: 03.07.2007, 23:25

Re: Circusfamilie Lorch

Ungelesener Beitrag von Gerd » 05.07.2007, 22:26

Peter Bento und seine Familie fühlen sich wohl in Eschollbrücken.
Er besucht dort auch ab und zu mal die Sektionsabende der Circusfreunde
und ist dort natürlich ein sehr gesehener Gast.

Wer einmal in der Gegend von Darmstadt ist, sei ein Besuch von "Danuska's Künstlerklause" in Eschollbrücken sehr empfohlen.
In diesem gemütlichen Lokal hängen hunderte Circus- und Artistenfotos...

Peter Bento ist übrigens nächstes Wochenende bei dem "LILALU Circusfestival" in München eines der Jury-Mitglieder.

Neben Peter Bento sind u.a. ebenso in der Jury:

Franz Nock, Gerhard Klauß, Veronika Bart vom "Traumtheater Salome", Dirk Denzer, Varietékünstler und –produzent, Oliver Forster vom Passauer Weihnachtszirkus, Frank Zammert vom Circusfestival Wiesbaden, u.a.
Viele Grüsse

Gerd
Benutzeravatar
Gerd
Stamm-Mitglied
Stamm-Mitglied
Beiträge: 389
Registriert: 03.07.2007, 23:25

Re: Circusfamilie Lorch

Ungelesener Beitrag von Gerd » 05.07.2007, 22:27

Der Clown und die Zirkusreiterin"
Ingeborg Prior
Piper Verlag, München 1997; Bd. 2832
240 S.; 8,90 Euro
[/quote]

Dieses Buch von Ingeborg Prior wurde übrigens auch verfilmt:

"Die Zirkusreiterin"

Mit: Karin Schroeder, Andreas Goehrt
Regie: Alvaro Solar
Musik: Reinhard Röhrs, Jan Fritsch
Kostüme: Carmen Oertwig

Zur Handlung des Films:

Ein letztes Mal treten die beiden Artisten im Zirkus "Clowni" ihrer Kinder auf. Jetzt sind sie alt. An ihren Schminkspiegeln lassen sie ihr Leben Revue passieren: Die damals 18 jährige Irene verliebt sich in den Clown Peter. Um bei ihm sein zu können, reist sie mit dem Zirkus und arbeitet als Kunstreiterin, Clownesse, Akrobatin.

Aber man schreibt das Jahr 1941 - Irene ist Jüdin. Und dann geschieht das Wunder: Die Zirkusfamilie nimmt Irene auf und versteckt sie. Ständig bedroht von Denunziation und Verhaftung bleibt das junge Paar zusammen, bekommt zwei Kinder, von denen niemand wissen darf.

Allabendlich tritt Irene mit strahlendem Lächeln vor das Publikum und weiß doch, dass jede Vorstellung ihre letzte sein kann.
Was wie eine schöne aber nicht ungewöhnliche Liebesgeschichte beginnt, entwickelt sich zu einem gefährlichen Spiel in der Manege.

Eine wahre Geschichte, erzählt in collageartigen Bildern.

Ingeborg Prior, Journalistin und Redakteurin, hat in Gesprächen mit Irene und Peter Bento, mit Maria und Adolf Althoff und vielen Zeitzeugen diese einzigartige Geschichte rekonstruiert und als Buch unter dem Titel "Der Clown und die Zirkusreiterin" im Piper Verlag München veröffentlicht.

Hat jemand von euch diesen Film vielleicht schon gesehen???
Viele Grüsse

Gerd
Benutzeravatar
Gerd
Stamm-Mitglied
Stamm-Mitglied
Beiträge: 389
Registriert: 03.07.2007, 23:25

Re: Circusfamilie Lorch

Ungelesener Beitrag von Gerd » 05.07.2007, 22:28

Irene Storms-Bento verstarb am 18. April 2006 im Alter von 83 Jahren in Pfungstadt-Eschollbrücken bei Darmstadt.

Mein herzliches Beileid gilt ihrem Ehemann Peter Bento, ihren Kindern Peter, Jano, Mary, Daisy und Astrid, den Schwiegertöchtern und Schwiegersöhnen, deren Familien mit zahlreichen Enkeln und Urenkeln.

In den in diesen Thread genannten Dokumentationen wie Film, Buch und Gedenkschriften wird ihr ein bleibendes Andenken gewahrt.
Viele Grüsse

Gerd
Benutzeravatar
Circusworld
-
-
Beiträge: 8957
Registriert: 02.07.2007, 02:02

Re: Circusfamilie Lorch

Ungelesener Beitrag von Circusworld » 27.01.2021, 21:09

Ein Zirkus riskiert alles
1901 gastiert der jüdische Zirkus Lorch mit einer hochpolitischen Show in Kulmbach. Nach 1933 werden viele Angehörige der Zirkusfamilie nach Auschwitz deportiert. Ein neues Buch berichtet darüber.

Am 3. Juli 1901 reist der jüdische Zirkus Lorch mit einem Sonderzug aus Erlangen an, um für vier Tage sein Zelt aufzubauen. Zum Tross der beiden Zirkusdirektoren Louis und Adolph Lorch, einem Brüderpaar, gehören 120 Mitwirkende und drei Dutzend Pferde. Schon Wochen vorher wurde eine großangelegte Werbeoffensive gestartet: Tägliche Inserate in den beiden Zeitungen "Kulmbacher Tagblatt" und "Kulmbacher Nachrichten" verkünden die "Größte Sensation der Gegenwart". Die Innenstadt ist mit Plakaten dekoriert, in Farbe, damals eine Rarität.

Mit 2000 Zuschauern ist die Eröffnungsvorstellung restlos ausverkauft. Durch die ausführlichen Berichte in den Zeitungen lässt sich der Ablauf der Show genau rekonstruieren. Zunächst das Vorprogramm mit klassischen Pferdenummern: Freiheitsdressur, hohe Schule, wilde Jockey-Stunts. Dazwischen Clown-Einlagen in einem ulkigen Kauderwelsch. Die Lorch-Family ist kosmopolitisch und polyglott wie keine. Fünf Sprachen spricht und versteht jeder.

Dann folgt die Hauptattraktion: der Kolonialfeldzug der Engländer gegen die Buren in Südafrika (Provinz Transvaal und Oranje-Freistaat), schonungslos vorgeführt in sieben Szenen. Der Krieg ist seit 1899 voll im Gange. Die Briten wollen die Bodenschätze - Gold und Diamanten - ausbeuten und die Kapkolonie dem Empire einverleiben. Mit einer Übermacht von 400 000 kampferprobten Soldaten gehen sie gegen die überwiegend aus Holland stammenden Buren vor, die nur über eine schwache Miliz verfügen.

Der Zirkus schreckt vor drastischen Szenen nicht zurück. Er zeigt, wie General Lord Kitchener auf die Sabotageakte der Buren mit brutaler Härte reagiert: die Farmen werden niedergebrannt, die Felder verwüstet, die Ernten vernichtet, das Vieh wird erschossen.

Frauen und Kinder werden zusammengetrieben und in "Concentration Camps" interniert. Die Szenen werden eindrucksvoll choreografiert: atemberaubende Kavallerie-Gefechte, Kampf Mann gegen Mann auf dem Pferderücken, Brandfackeln, die in Gehöfte geworfen werden, Zivilisten, die von Berittenen abgeschleppt werden, ein verwundeter Burengeneral, der auf seinem Pferd verblutet. Viele Zuschauer verlassen geschockt die Vorstellung, wie die Kulmbacher Zeitungen berichten.

Welche Folgen das Buren-Solidarität für den Zirkus gehabt hat, erfährt man aus einem Buch, das eben erschienen ist. Der Geschichtsforscher Wolfgang Roth aus Eschollbrücken in Südhessen, der Heimatstadt der Zirkusfamilie, zeigt darin, wie die Show die Geister spaltet: Während der reaktionäre, antisemitische Alldeutsche Verband applaudiert, kritisiert der "Volksfreund", die Zeitung der Sozialdemokratie, die Einseitigkeit. Die Buren verdienten keineswegs die Sympathie der Arbeiterbewegung. Sie seien die südafrikanische Ausbeuterklasse: "Auf jeden Buren entfallen durchschnittlich zehn schwarze Sklaven oder ,Diener'." Bei Roth liest man, dass der Zirkus 1902 bei einem Gastspiel in der Schweiz zu einer Änderung des Programms gezwungen wurde.

Mehr unter: https://www.infranken.de/lk/gem/ein-zir ... rt-5155600
--------------------------------
http://www.circusworld.de
--------------------------------
Benutzeravatar
Circusworld
-
-
Beiträge: 8957
Registriert: 02.07.2007, 02:02

Re: Circusfamilie Lorch

Ungelesener Beitrag von Circusworld » 11.08.2021, 11:51

Gerd hat geschrieben: 05.07.2007, 22:26
Wer einmal in der Gegend von Darmstadt ist, sei ein Besuch von "Danuska's Künstlerklause" in Eschollbrücken sehr empfohlen.
In diesem gemütlichen Lokal hängen hunderte Circus- und Artistenfotos...
SIE TRAT SOGAR IN LAS VEGAS AUF
Frau Wolff, die Bärenflüsterin

Danuska Wolff (83) erinnert sich gern zurück an ihr aufregendes Leben als Bären-Dompteurin

https://www.bild.de/bild-plus/regional/ ... .bild.html
--------------------------------
http://www.circusworld.de
--------------------------------
Antworten