Wie mich Rene Irek zu Boswell & Wilkie Circus brachte

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Volker Reinke
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Wie mich Rene Irek zu Boswell & Wilkie Circus brachte

Ungelesener Beitrag von Volker Reinke » 05.07.2007, 21:30

Dem ein- oder anderen von den älteren Circusfreunden dürfte Rene Irek noch vom Circus Carola Williams bekannt sein. Er war dort Oberrequisiteur und als der Stamm von Williams zu Ringling in die USA ging, führten Renes Wege zum Boswell & Wilkie Circus in Südafrika. Er war dort Verlademeister, Zeltmeister und zuletzt Ringmaster, quasi Hans Dampf in allen Gassen. Inzwischen mit einer englischen Frau aus dem Williams-Ballett verheiratet und Vater von zwei Söhnen, hatte er 1970 Heimweh nach Deutschland. Der aus der Gegend von Isny (Allgäu) gebürtige und angeblich studierte Designer wurde für 1971 vom Circus Barum als Betriebsleiter eingestellt. Er vertrug sich nur schlecht mit den damals nur deutschen Arbeitern, so hatte der damalige Vorarbeiter Eugen Kegel ihn auch des öfteren an der Krawatte. Er war halt als bayerischer Schwabe preußischer als die Preußen, das passte nicht. 1972 arbeitete er ebenfalls als Betriebsleiter im Circus der Gebrüder Enders im Auftrag von Carola Williams, die das Material stellte. Dort kam ebenfalls seine Art bei den Direktoren und beim Personal nicht so doll an. 1973 kam er zurück zu Barum und war genau wie ich auch als Regisseur und Ansager engagiert, was dazu führte, das zwei Zylinder und rote Fräcke in der Manege rumliefen, bis Rene Irek zur Reklameabteilung zugeordert wurde. Somit war ich allein verantwortlich für die Vorstellungen und konnte mich als sehr junger Mann weiter entwickeln. Rene erzählte immer von Afrika, wie schön es dort sei. Er machte Peter Gries und mir quasi den Mund wässerig, so das wir nach einem Besuch von Direktor Wilkie bei Barum einen einjährigen Vertrag nach Afrika zum Boswell & Wilkie Circus unterschrieben ( Rene Irek, Peter Gries und ich).
Ich kaufte in Dortmund 3 Cowboyhüte für uns (wegen der Sonne dort) und kurz nach Saisonschluß gings von Brüssel aus per Sabena nach Johannesburg, wo wir nach der Ankunft erst einmal 2 Tage in einem Hotel aklimatisierten. Dort trafen wir auch ein Mitglied der Familie Carre, der dort in einem Kaufhaus Textilien verkauft. Bei Anflug auf Johannesburg dachte ich, wir landen in Gelsenkirchen ( lauter Fördertürme und beraintes Agrarland) und nicht in Afrika. Das war meine erste große Enttäuschung. Die Stadt selber war sehr modern, fast europäisch, aber nicht afrikanisch. Wies weiterging, erzähle ich ein anderes mal.
Mit circensischen Grüßen

Volker Reinke
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Re: Wie mich Rene Irek zu Boswell & Wilkie Circus brachte

Ungelesener Beitrag von Volker Reinke » 05.07.2007, 21:30

Afrika ruft !

Mit diesen Worten begrüßte mich Gerd Siemoneit nach der vorzeitigen Rückkehr vom Boswell & Wilkie Circus in Südafrika.
Aber bis dahin durfte ich noch viel erleben.
Nach der kurzen Aklimatisierung in einem Johannesburger Hotel wurden wir von dem Neffen von Mister Wilkie (Namens Jerry) zum Circus abgeholt, der in den Johannesburger Vororten Eintagesplätze absolvierte.
Jerry war dort Tourneeleiter oder auch eingesetzter Tourmanager (er kümmerte sich um alles, hauptsächlich jedoch um den Barwagen, wo er wahrscheinlich Prozente bekam).
Rene Irek bekam einen selbstgebauten (wie alle anderen Wagen auch selber gebaut) Circuswohnwagen und Peter Gries und ich wurden wie bei Boswell & Wilkie üblich in Zugeinzelabteile eingewiesen. Ausser fließendes Wasser gab es dort nichts, WC auf einem Gang, wie bei Zügen üblich. Ich suchte die von Rene Irek versprochene Klimaanlage sowie die Dusche, beides Fehlanzeige.
Nachdem die Vororte von Johannesburg abgespielt waren (die wir per Achse bei 4 bis 5 Meilen pro Platzwechsel sehr gut schafften) ging die Verladerei los. Ich war ja Verlademeister mit 38 Hilskräften und 32 Loren.
Normalerweise ein Traum eines jeden Verlademeisters, aber: Die meisten Orte hatten überhaupt keine Rampe, die Wagen mußten mit mindestens 4 Leuten gedeichselt werden, so schwer waren die. Abpfeifen mit der Trillerpfeife wollte ich einführen, das haben die nie kapiert. Andauernd sackten die Wagenräder in die Spalten bei Waggon zu Waggon (es gibt dort keine Puffer, sondern es müssen platten gelegt werden) und die Deichsler machten Kapriolen durch die Luft. Mit Winden mussten sehr oft die Wagen wieder auf die Waggons gehievt werden. Wenn jemand mit einem Kofferradio mit schallender Musik bei uns vorbeilief, ließen die Farbigen die Arbeit Arbeit sein und fingen an zu tanzen.
Mit den weißen Bahnbeamten hatte ich auch so meinen Kummer, denn Disziplin und Zeitgefühl haben die nicht. Nach dem Motto: "kommste heut nicht, kommste morgen" konnte es passieren, das mitten auf der Bahnstrecke die Dampflok abgehangen wurde um stundenlang weg zu bleiben, um das dringend benötigte Wasser zu tanken. So hatte ich stets meine höchste Not an den anderen Gastspielort zu gelangen.
Die Farbigen hatten ausser 3 Zelte für die Bossboys (Vorarbeiter) keinerlei
Schlaf bzw. Unterkunftsmöglichkeit. Während der Circus mal stand, schliefen die Farbigen auf oder unter dem Gradin, während der Fahrt in den Tierwaggons. Sie erhielten sehr wenig Geld und extra Tobacco-Money.
Einen Alkohol, den man normalerweise zum Schuhe reinigen nahm, wurde mit Cola gemixt und die Jungs waren ständig benebelt und stanken fürchterlich aus dem Hals. Die Bossboys leisteten sich Frauen an ihrer Seite, nicht aber Ehefrauen. Ich erinnere mich sehr gut an Heiligabend,
wir waren in Pretoria für 10 Tage. Der Platz mußte mit einer Planierraupe geebnet werden, so verschlammt war dieser. Heiligabend in der Abendvorstellung staunte ich nicht schlecht, Damen und Herren in Abendgarderobe wateten durch den Schlamm um der Vorstellung beizuwohnen. Am 1. Feiertag hatten wir spielfrei, Die Artisten hatten ein sehr gutes Herz und schenkten den Requisiteuren zu Weihnachten kleinere Geldbeträge. Fazit war, das die gesamte Mannschaft ( etwa 90 Personen) der Farbigen total betrunken war und drei der mitreisenden Frauen die Brüste abgeschnitten wurden und mehrere Farbige Brandverletzungen dadurch hatten, das sie ins offene Feuer (Herdstelle wie auf Witzkarikaturen, ein Dreifuß mit großem schwarzen Topf) geschmissen wurden. Nur notdürftig wurde ambulant in den Krankenhäusern behandelt. Erst als wir später in Capetown (Kapstadt) gastierten, bin ich mit den Farbigen erneut ins Krankenhaus gefahren und habe sie dort behandeln lassen.
So, erst mal wieder genug für heute, Fortsetzung folgt.
Mit circensischen Grüßen

Volker Reinke
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Re: Wie mich Rene Irek zu Boswell & Wilkie Circus brachte

Ungelesener Beitrag von Volker Reinke » 05.07.2007, 21:41

Fortsetzung meines Afrika-Abenteuers

Ja, ich bin zwar absolut kein Abenteurer, dieses Engagement bei Boswell&Wilkie kann man aber gut- und gerne abschließend als Abenteuer bezeichnen.
Sonntags war immer spielfrei (gesetzlich), TV gab es damals noch nicht in Südafrika (deshalb wohl auch die hohen Besucherzahlen im Circus, fast immer voll), Restaurants und Kinos waren ebenso geschlossen. Kurzum mieteten wir manchmal ganz einfach ein kleineres Hotel und feierten dort eine nichtöffentliche Party mit Grillen etc., oder wir liehen uns einen Film aus, spannten ein Bettlaken vor einen der Waggons und hatten Movie-Time (privat). Da ein jeder in der gleichen Situation (beengt im Waggon lebend) war, hat irgendwie die Companie auch gestimmt. Meine Nachbarn waren Markus und Rosita sowie Silvia Schickler und ihr Lebensgefährte Tovaritsch (heutzutage beim Circus Krone). Meine Nachbarn lachten sich die ersten Tage nach meiner Ankuft darüber kaputt, das ich immer noch die von Rene Irek versprochene Klimaanlage und die Dusche suchte, die natürlich nie dort vorhanden waren. Wenn der Zug stand, kamen regelmäßig in allen Gastspielorten farbige Frauen an den Zug, die sich für wenig Geld anboten die Wäsche zu waschen. Das Angebot wurde von allen angenommen. Einmal bin ich sogar von einem Sohn des örtlichen Bestatters eingeladen worden, in seinem Elternhaus zu baden. Habe ich auch gemacht, muß wohl furchtbar schmutzig ausgesehen haben. Das liebe Geld machte mir dort allerdings große Probleme. Sonntags wurde gezahlt und mittwochs hatte ich bereits nichts mehr, so niedrig war die Gage dort. Laut Rene Ireks Worten in Deutschland vor Arbeitsantritt dort:" Von der Gage kannst du dort leben wie ein Fürst", dies war nicht der Fall. In der ganzen Not und Erschrockenheit über den Umgang mit den Farbigen dort (damals noch Apartheit) schrieb ich an den Circus Barum, das ich sehr gerne zurückkommen wolle. Dies klappte auch. Frau Siemoneit ließ in Kaptstadt am Lufthansa-Schalter 2 Tickets (für Peter Gries und mich) hinterlegen und informierte mich über ein Telegramm darüber. Ich hatte Gewissensbisse und wandte mich ans deutsche Konsulat
, die mich widerum an einen deutschen, in Kapstadt niedergelassenen Rechtsanwalt verwiesen. Dieser gab mir einen kurzen und guten Rat für viel Geld. So plante ich unsere "Flucht" aus Südafrika. Da ja sonntags spielfrei war, erzählten wir allen, das wir auf den Tafelberg fahren würden. Vorher hatten wir schon unsere Reiseuntensilien bis auf Kleinigkeiten im Schließfach des Bahnhofs deponiert. Von diesem sonntäglichen Ausflug auf den Tafelberg kamen wir nie zurück. Von Kapstadt bis Johannesburg waren es 2 Flugstunden. Erst bei der Zwischenlandung in Nairobi war ich etwas beruhigt, endlich Südafrika verlassen zu haben. Es war ein sehr ruhiger Flug in einem wirklich bis zum letzten Platz vollbesetzten Lufthansa-Jumbo, bis uns die freundliche Stimme des Flugkapitäns weckte und uns mitteilte, das ein Triebwerk ausgefallen sei. Wir sollten uns aber keine Sorgen machen, zur Not würde die Maschine auch mit einem von vier Triebwerken fliegen. Über Frankfurt wurde koordiniert, wo ein Ersatzteil lagerte. Es hieß entweder Tel Aviv oder Athen. Athen war es dann, wo wir 2 Stunden auf dem Rollfeld stehend, wartend auf das Ende der Reparatur mit einem Freigetränk der Lufthansa entschädigt wurden. Dann gings endlich weiter nach Frankfurt. Wir kamen natürlich unplanmäßig an und mußten etliche Warteschleifen fliegen, um endlich landen zu können. Von dort aus brachte uns eine kleinere Maschine nach Hannover und dann mit dem Zug nach Einbeck. Frau Siemoneit hatte in einem nahe gelegenen Hotel Zimmer für uns gebucht. Sofort nach Ankunft sind wir zu Siemoneits nach Hause (wohnten damals noch nicht im Winterquartier), Herr Siemoneit kam gerade vom Tierhändler Walter Sensen, wo er Tiere gekauft hatte und begrüßte uns herzlich mit den Worten " Heia Safari, Afrika ruft!". Nun war ich wieder dort, wo ich jahrelang hingehörte, in damals meinem Circus Barum.
Mit circensischen Grüßen

Volker Reinke
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Re: Wie mich Rene Irek zu Boswell & Wilkie Circus brachte

Ungelesener Beitrag von Circusworld » 19.02.2020, 12:41

Immer wieder spannend zu lesen. :D
Damit hat sich Volker hier verewigt.
Er ist 2015 leider verstorben.
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