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Manege frei

Verfasst: 17.07.2013, 19:22
von Admin
Manege frei

Antonio flucht über die fanatischen Tierschützer, die wieder seine Kunststoffwerbetafeln überklebt haben mit „Circus fällt aus wegen Tierquälerei“. Mühsam kratzt der diese Aufkleber von den Bildmotiven, bemüht die farbige Oberfläche nicht zu zerkratzen. „Diese Hundesöhne nehmen einen Kleber, damit die Tafeln kaputt gehen.“ Jede kostet rund drei Euro und in der neuen Gastspielstadt sind zig Tafeln überklebt, mit Teppichmessern zerschnitten oder in der Mitte umgeknickt. Die wirtschaftlichen Zeiten sind schon hart genug und dann noch diese teuren Gemeinheiten junger Menschen die fanatisch gegen jede Form von Tierhaltung und Tierdressur sind und dies durch kriminelle Schädigung der Circusbetriebe erzwingen wollen. Dabei wird der kleine Familiencircus in jeder Stadt vom Amtstierarzt kontrolliert und jede Kleinigkeit wird im Tierbestandsbuch protokolliert. Darin stehen nur positive Einträge, da Antonio und seine Familie liebevoll mit ihren Tieren leben und diese gut pflegen. Die Pferde, Ponys, Ziegen, zwei Kamele, Tauben und Hunde haben geräumige Gehege, so wie es der Gesetzgeber vorschreibt. Wenn der Platz eine Wiese ist wird mit Elektrozaun eine Weide eingezäunt, in der die Pferde und Kamele frei laufen können. Alles ist korrekt wie im Zoo oder Pferdehof. Viel Arbeit für die zwölfköpfige Familie, die jede Woche neu das Stallzelt und das Zweimasterspielzelt aufbauen. Die Eisenanker werden mit Vorschlaghämmern und Muskelkraft in den Boden getrieben. Über vierzig Anker, dann die Masten aufstellen und die Zeltplane hochziehen. Die Rondellstangen gerade ausrichten und dann mit den Logenkästen die Manege einrichten, Die Logenumrandungen aufstellen, dahinter die Stühle und dann die vierreihige leicht ansteigende Sitzeinrichtung welche man Gradin oder Amphi nennt. Hinter dem Manegeneingang werden die Requisiten eingestellt, die Musik aufgebaut, die Scheinwerfer in die Masten gehängt. Alles muß heute noch fertig werden, da am folgenden Vormittag die örtliche Bauabnahme erwartet wird, welche anhand des Baubuches des Zeltes den ordnungsgemäßen Aufbau überprüfen wird. Der Büffetwagen muß noch richtig plaziert und der Eingang an der Frontseite mit der Kasse mit Fähnchen geschmückt und der Zaun zwischen den Wägen gestellt werden. Ein Zwölfstundentag bei dem alle anpacken müssen, mit Ausnahme der dreijährigen Sarina auf die ihre Mutter immer wieder einen sorgenden Blick wirft. Denn sie muß dazwischen für die Familie kochen und die frisch angeschlossene Waschmaschine in Gang setzen. Körbe voll Wäsche müssen gewaschen werden. Dazwischen klingelt das Telefon und einer von der Zeitung meldet sich an. „Ja, kommen Sie und machen ein Foto, das Zelt steht schon.“ Was für ein Glück, das die örtliche Presse Interesse zeigt und etwas zusätzliche Werbung für das Gastspiel macht. Denn durch die Gemeinheiten dieser Tierrechtsbande wurde die Plakatwerbung stark eingeschränkt. Die Polizei ermittelt zwar schon, doch viel zu selten finden diese die Täter.
„Ein hartes Leben in immer härter werdenden Zeiten.“ sagt Antonio zu dem Zeitungvolontär, der eifrig notiert was ihm die Circusleute erzählen und fragt: „Habt ihr denn noch nie ans aufhören gedacht?“ Antonio nickt „nachgedacht ja, aber dies ist unser Leben. Wir können uns nichts anderes vorstellen und irgendwie geht es immer weiter.“
Was soll er dem jungen Mann groß vorjammern, er soll ja etwas positives schreiben, damit die Leute kommen. Die wollen Freude im Circus erleben und nicht die ganze Vielfalt an Schwierigkeiten wissen, mit denen der Circus jeden Tag sich herum plagen muß. Das fängt an mit der Platzsuche, viel Ablehnung bei Behörden, bis man sich eine Wiese von einem Bauern besorgt. Der städtische Festplatz wurde bereits an einen anderen Circus vermietet, der aber erst in drei Monaten gemeldet ist. Also bleibt keine andere Wahl als sich einen Privatplatz zu suchen, wo auch ein Wasseranschluß möglich ist und ein Stromanschluss nicht zu teuer kommt. Dann muß die Plakatierung bei der Stadt beantragt werden, wofür die Stadt hohe Gebühren verlangt und oft noch die Anzahl der Tafeln begrenzt. Darauf müssen die Plakateindrucke, Ermässigungskarten und Werbeflyer bestellt werden. Die Werbung möglichst in oder neben Schulen und Kindergärten verteilen, in Geschäften Plakathänger und die Plakattafeln an den genehmigten Stellen aufhängen. Das übernehmen die älteren Kinder von Antonio mit der Mutter zusammen. Dazwischen werden Lebensmittel eingekauft, Sägespäne besorgt. Antonio mit dem Schwiegersohn seiner ältesten Tochter handelt mit einem Bauern den Preis für Heu und Stroh aus. Hunderte Kleinigkeiten, die er niemanden voll aufzählen könnte.
Wenn dann manchmal nur zwanzig bis vierzig Besucher in den Vorstellungen sitzen, decken diese Einnahmen gerade die laufenden Kosten. Trotzdem heißt es an vier Tagen in der Woche „Manege frei“. Die restlichen drei Tage sind für den Auf- und Abbau, den Weitertransport, die Werbung, neue Platzsuche und die vielen anderen Aufgaben, die für die ganze Familie eine unendliche Lebensaufgabe ist. In der Manege zeigen sie ihre Kunst, welche sie von den Eltern und Großeltern gelernt und selber weiterentwickelt haben. Von Handstandakrobatik der Jüngsten mit dem Vater, Luftring von Eliane, Drahtseillauf der zierlichen Marianne, tanzende Teller von Luigi und Adrianio, Clownerie von Peppo und Banane, Pferdefreiheiten führt Antonio selber vor, ebenfalls Groß und Klein mit Pferd und Pony, anschließend der klassische Rausschmeißer, wenn das Pony den Clown aus der Manege jagt, orientalischer Tanz der Mädels vor der Kamelvorführung, putzige Ziegen welche in der Manege balancieren und Hunde welche ihre Weitsprünge über Stühle zeigen. Manuela führt dazu ihre Tauben in elegantem Kleid vor. Zum Schluß dann noch die Wildwestshow der ganzen Familie mit Lassospielen und Messerwurf. Mit der Pause fast zwei Stunden schöne Unterhaltung für Kinder und deren Eltern.
Wenn dann der Applaus schallt und die Kasse stimmt, dann sind alle Anstrengungen vergessen und die Circuskinder können ins Kino oder mit den Eltern die Verwandten bei einem anderen Circus in der Nähe besuchen. Alle Freunde welche weiter weg sind, werden per Handy angerufen oder per Facebook gechattet. Die Jugend vieler Familiencircusse kommuniziert so virtuell. Wie war das nur, als es das noch nicht gab? Kaum mehr vorstellbar.

Am nächsten Vormittag lesen sie in der örtlichen Zeitung einen netten Beitrag mit zwei Fotos. Die Schlagzeile lautet „Harte Zeiten für den Circus - Circusfamilie blickt optimistisch in die Zukunft.“
Antonio lacht und sagt zu seiner Frau: „Der von der Zeitung hat gut geschrieben. Die Stadt wird gut werden.“
Wie recht er doch hatte, das Zelt war dreimal gut voll und die Besucher zufrieden. Einige brachten sogar etwas Futter für die Tiere mit und ein älterer Mann drückte ihm zwei Fünfziger extra in die Hand, „für die Tiere“. Wenn doch alle so wären denkt Antonio laut: „Wenn nur alle Zeitungen so gut über uns schreiben würden, dann bräuchten wir uns um die Zukunft keine Sorgen machen. Aber leider greifen diese häufig die ungerechtfertigten Vorwürfe der Tierrechtler auf, gegen die man sich dann wehren muß. Dies stellt einen dann in der Zeitung negativ dar und die Leute sind verunsichert. Dabei lieben wir unsere Tiere und versorgen diese optimal. Morgens bekommen die zuerst ihr Futter, bevor wir alle selber frühstücken. Wenn ein Tier erkrankt wird sofort ein Tierarzt gerufen. Unsere Tiere sind unser Kapital und wer behauptet wir würden diese quälen, das sind schlechte Menschen“. Antonio macht eine große weite Handbewegung: „Circus wird es immer geben, solange Kinder uns und unsere Tiere sehen wollen.“ Nachdenklich ergänzt er: „Diese Tierrechtsvereine, sture Beamte in den Behörden und der Sprit machen es uns es immer schwerer. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen. Wenn die uns die Existenz zerstören, dann muß der Staat uns eben bezahlen. Wir wollen nur leben und uns unser Geld selber verdienen. Sie müssen uns nur lassen und es uns nicht immer schwerer machen.“

Peter Burger
2013